Herbstfreuden

Herbstgeschichte gegen die Traurigkeit – Abschiedsstimmung und Herbstbeginn

Immer früher verabschiedete sich die Sonne vom Tag. Es war, als hörte man sie leise seufzen, wenn sie mit ihren letzten Strahlen die Wipfel der Bäume streichelte und deren Kronen so tiefrot bemalte, dass sie wie große Herbstblumen aussahen.
„Der Herbst kommt!“, sagte Luise. Sie deutete zum Park hinüber. „Siehst du es auch?“
„Ja, ja, so ist das! Der Sommer geht, der Herbst kommt – jedes Jahr das gleiche und immer fällt der Abschied vom Sommer schwerer!“
Antons Miene war traurig, als er nach Luises Hand griff.
Luise nickte. „Ich verstehe, was du meinst. Aber bist du mir böse, wenn ich sage, dass ich mich auf den Herbst freue? Ich sehne mich nach kühlen Tagen und kuscheligen Nachmittagen am Kamin, nach heißer Kartoffelsuppe mit Apfelkuchen und Nebelschleiern am Morgen, nach der bunten Natur und Wanderungen durch raschelnde Blätterberge.“
„Natürlich bin ich nicht böse, und du hast ja auch recht. Der Sommer ist anstrengend gewesen. Die vielen heißen Tage machten mir zu schaffen. Ich sollte mich dir anschließen und versuchen, mich auf die Herbstzeit zu freuen. Wenn nur diese Traurigkeit nicht wäre, die mich in diesen Tagen zuweilen einholt!“
Anton erinnerte sich an jene melancholische Stimmung, die sich im Herbst immer wieder auf sein Gemüt legte. Aber er dachte auch an schöne Stunden, denn seiner Luise war es immer wieder gelungen, ihn aus diesen Tiefs herauszuholen.
Mit einem Blick, der die Hoffnung suchte, sah er seine Gefährtin an. Was würde sie sich für dieses Jahr einfallen lassen, um ihn die Traurigkeit nicht spüren zu lassen?
„Für Trauer wirst du keine Zeit haben, Liebling!“, sagte Luise da auch schon. „Ich habe mich nämlich gerade verliebt.“
Sie zog ein Foto aus der Tasche ihrer Jacke und reichte es ihm.
Ein Lächeln huschte über Antons Gesicht. Ein großes Vogelhaus aus leuchtendem Birkenholz war auf dem Bild zu sehen. Anton wusste Bescheid: Die gute Luise hoffte auf seine handwerklichen Fähigkeiten und sie irrte auch dieses Mal nicht. Er war schockverliebt. In Luise und in das Vogelhaus. Und die Vorfreude auf die Arbeit vertrieb die lauernde Traurigkeit mit einem Wisch.
„Der Sinn!“, murmelte er. „Hier also hat er sich dieses Mal verborgen. Gut, dass du ihn mir wieder einmal gezeigt hast. Alles im Leben sollte seinen Sinn haben, nicht wahr, mein Schatz?“
„Alles!“, antwortete Luise. Dann schwieg sie und freute sich an der leisen Freude, die Antons Wangen mit einer zarten Röte bemalte.

© Elke Bräunling & Regina Meier zu Verl

Herbstfreuden, Bildquelle © pixel2013/pixabay

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