Die Sache mit dem Henkelmann

Geschichte für Groß und Klein – Erinnerungen an ganz besondere Mahlzeiten am Arbeitsplatz

Werner war den ganzen Vormittag im Keller beschäftigt. Er suchte etwas, das er nicht benennen konnte.
„Ich habe vergessen, wie es heißt!“, sagte er. „Ich suche einen Topf mit Deckel und Klammer. Er ist alt und aus Aluminium und er hatte damals schon ein paar Beulen.“
„Wofür brauchst du diesen Topf denn?“, wollte seine Tochter Anne wissen, die keine Ahnung hatte, was ihr Vater meinen könnte.
„Deine Großmutter hat ihn mir jeden Tag mit zur Arbeit gegeben. Mal war eine Suppe drin, aber auch mal Kartoffeln mit Soße und Gemüse“ sagte Werner. „Wir hatten alle solche Töpfe. Auf der Arbeit stellten wir sie in ein Wasserbad, um den Inhalt zu erwärmen.“
„In ein Wasserbad?“ Anne stutzte. Was fantasierte ihr Vater da? Das kannte sie nicht von ihm. Wie kam er nur darauf? Es musste mit der Fernsehsendung gestern Abend zu tun haben. Die hatte ihn nachdenklich gestimmt. Das Arbeitsleben in den Fünfzigern war das Thema. Ob seine Frage damit etwas zu tun hatte?
„Ja, in ein Wasserbad. Meine Kollegen hatten fast alle so einen Topf. Eine Stunde vor der Mittagspause stellte der Lehrling diese Pötte ins heiße Wasser, damit wir pünktlich um Zwölf essen konnten“, erklärte Werner „Oma hat immer dafür gesorgt, dass etwas Leckeres darin war.“
Er legte jeweils Zeige- und Mittelfinger an die Schläfen und massierte die Haut leicht, so, als könnte er die Erinnerung damit heraus massieren und tatsächlich, da kam was.
Da kommt der alte Enkelmann mit seinem alten Henkelmann!“, sang er und seine Augen strahlten. „Ich hab’s, es war der Henkelmann! Wo der wohl hingekommen ist?“
Jetzt erinnerte sich Anne. Wie sehr hatte sie es sich gewünscht, auch einen Henkelmann in die Schule mitzunehmen! Und wie sehr hatte sie sich gefreut, wenn sie ihren Vater auf der Arbeit besuchen und mit ihm gemeinsam aus dem Henkelmann naschen durfte.
„Das war eine feine Sache“, sagte sie. „Und die Suppe hat aus deinem Henkelmann soo viel besser geschmeckt. Obwohl es die gleiche war wie daheim auf dem Teller.“ Sie lachte.
Ihr Vater lachte auch. „Das ist der Henkelmannzauber. Ich wette, er würde auch heute noch funktionieren.“
„Dann werde ich deinen Henkelmann bald mal suchen!“, schlug Anne vor. „Und für heute schlage ich vor, ich bringe dir deine Suppe nachher in den Garten, ganz so wie Mama es früher gemacht hat.“
Das gefiel Werner. Er zog sich seine Gummistiefel an und ging in den Garten zum Laub harken. Als Anne später mit einem Topf Suppe zu ihm kam, strahlten seine Augen. Die leckere Suppe war zwar nicht im Henkelmann, aber mit ein wenig Fantasie konnte er sich das vorstellen. Geschmeckt hat das Mahl so gut wie lange nicht.

© Elke Bräunling & Regina Meier zu Verl

Danke, lieber Xaver, für das Foto mit den Henkelmännern, das Sie mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt haben.

Xaver schreibt in den Kommentaren dazu:

Moin,
ja, der Henkelmann war genauso wie die Brotdose in unserer Familie in aller Munde. Beides wurde am Abend oder bei Nachtschicht am Nachmittag gefüllt und in der Speis kalt gestellt. Meine Omas waren beide Meisterinnen in leckeren Rezepten. Wobei beide eigentlich gefühlt ohne Rezepte kochten, aber dafür mit ganz viel Liebe und Gefühl. Die Geschichte werden wir heuer Ende November beim Kochkurs “Pütt trifft Küste” in der KVHS Norden vorlesen. Danke.

© Xaver Schruhl

Ich habe zu danken für dieses schöne Stück Zeitgeschichte. 💛

 

Bildquelle © Pexels/pixabay

 

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