Bergers Obstwiese

Geschichte für Senioren zum Vorlesen – Nachbarschaftshilfe tut gut

„Es ist eine Schande! Überall auf der Welt hungern Menschen und hier verfaulen kostbare Vitamine unter den Bäumen.“
Hilde zeigte voller Empörung zu den Apfel- und Birnbäumen auf Bergers Obstwiese hinüber. Keiner hatte die Früchte geerntet.
„Vielleicht haben die Bergers keine Zeit für die Ernte. Vielleicht fehlt ihnen auch die Kraft? Sie hatten doch diesen Autounfall“, wandte ihr Mann Werner ein.
Damit aber war er bei seiner Frau an der falschen Adresse. Das hatte er nämlich schon im letzten Jahr gesagt.
„Wie oft willst du das noch sagen?“, schimpfte sie auch gleich weiter.
„Stimmt!“, gab Werner zu. „Mit Reden kommen wir da nicht weiter. Ich werde hinübergehen und fragen, ob wir bei der Ernte helfen können. Ich habe da so eine Idee.“
„Du und deine Ideen!“ Hilde wollte heute brummig sein.
Werner setzte seinen Strohhut auf und verließ das Haus. Beinahe spürte er seine müden Beine nicht, so angetan war er von seinem Einfall. Vor der Haustür der Bergers setzte er sein schönstes Sonntagslächeln auf, läutete und wartete darauf, dass jemand öffnete. Er musste lange warten. Bei den Nachbarn schien wirklich etwas nicht in Ordnung zu sein. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit kam Frau Berger zur Tür. Sie sah blass aus und stützte sich auf einen Gehstock.
„Guten Tag, Frau Berger. Oh, ich sehe, das Laufen fällt Ihnen schwer,” entschuldigte er sich. “Es tut mir leid, wenn ich Sie störe.“
„Nicht schlimm, ich freue mich, wenn Besuch kommt!“ Frau Berger lächelte ein wenig gequält. „Alles fällt mir schwer. Wir werden eben älter.“
Werner nickte. „Ja, meine Frau und ich merken es auch ganz deutlich.“
Nachdem er sich nach Herrn Berger erkundigt hatte und erfuhr, dass der seit zwei Wochen in der Reha war, trug Werner sein Anliegen vor:
„Wir haben uns Gedanken über Ihre Obstwiese gemacht. Es schmerzt, dass alle die schönen Früchte dort verkommen. Wenn Sie einverstanden sind, würden wir sie gerne für Sie ernten und wir würden uns freuen, wenn Sie uns eine Handvoll Früchte überlassen könnten. Wir wollen ein Kinderherbstfest veranstalten und alle Schulanfänger zu Obstkuchen mit Sahne und Kakao in unseren Garten einladen. Unsere Enkelin Sophie wurde nämlich in diesem Jahr eingeschult und das feiern wir noch einmal.“
Ein Lächeln überzog Frau Bergers Gesicht.
„Eine feine Idee ist das!“, freute sie sich. „Ich hatte auch schon überlegt, ob ich Sie bitten sollte, die Ernte im Garten und draußen auf der Obstwiese zu übernehmen. Ich habe nämlich ein schlechtes Gewissen, dem Obst beim Verfaulen zuzusehen. Das war im letzten Jahr schon unverzeihlich, doch da hatten wir ja diesen Unfall und ich …“
Werner spürte, wie sich nun auch bei ihm ein schlechtes Gewissen regte. Hätte er den Bergers doch bloß früher schon seine Hilfe angeboten, so wie es sich unter guten Nachbarn gehörte! Das sollte nun anders werden.
„Mein Sohn wird mir helfen, die Äpfel und Birnen zu pflücken. Die Nüsse und Zwetschgen sind auch bald reif. Und in Ihrem Garten schaue ich auch gleich nach dem Rechten.“
„Oh, so viel Arbeit? Ich kann Sie doch nicht einfach so mit meinen Problemen …“
Frau Berger verhedderte sich, schwieg.
Werner lächelte. „Ganz einfach!“, schlug er vor. „Wir teilen uns die Ernte. Dann haben wir alle eine Freude daran. Einverstanden?“
„Oh ja! Einverstanden!“, stimmte die Nachbarin mit einem glücklichen Lächeln zu. „Und für das Fest helfe ich beim Backen. Das kann ich nämlich noch gut.“

© Elke Bräunling

Apfelparadies, Bildquelle © manfredrichter/pixabay

 

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