Die Blumen für nächstes Jahr
Die Blumen für nächstes Jahr
Blumengeschichte für Kinder und Erwachsene
In Blumensamen ruht das Leben
„Sie sind nicht tot … In ihnen ruht das Leben, aus dem Neues wächst.“
Wenn die bunten Blumen des Sommers welken, beginnt etwas Neues: In dieser sensiblen Geschichte entdecken ein alter Mann und ein Kind gemeinsam, wie viel Zukunft in den unscheinbaren Samen vergangener Blüten steckt. Ein zartes Naturmärchen über den Kreislauf des Lebens – für Kinder und Erwachsene.
Die Blumen für nächstes Jahr
„Was machst du da?“, fragt das Kind den alten Mann.
„Ich sammle. Siehst du es nicht?“
Der Alte greift mit beiden Händen in die dürren Blütenköpfe der Kornblumen, Lein- und Kamilleblüten, Wildmöhren, Malven, Gänseblümchen, Ringelblumen und Margeriten, pflückt sie und sammelt sie in ein Leinensäckchen, das von einer Schnur gehalten vor seinem Bauch hängt.
„Du sammelst tote Blumen?“ Ungläubiges Entsetzen schwingt in der Stimme des Kindes mit.
„Tot?“ Der Mann sieht das Kind an. Seine Augen funkeln tiefschwarz, so als ärgerte ihn diese Frage. Dann blickt er auf die welken Blumenköpfe und Samenkapseln in seinen Händen.
„Sie sind nicht tot“, knurrt er. „In ihnen ruht das Leben, aus dem Neues wächst. Aber dies lernt ihr heutzutage wohl nicht mehr in der Schule.“
„In ihnen ruht das Leben?“ Das Kind staunt. „Das klingt schön.“ Und nach einer Nachdenkpause fügt es hinzu: „Dann müssen die Blumen gar nicht sterben, auch wenn sie welk und tot aussehen?“
Nun lächelt der Mann. „Nein. Sie leben weiter in den Samen, die nach der Blüte in ihren Fruchtknoten herangereift sind. Sieh, hier!“
Er öffnet die Fruchtkapsel einer Kornblume. „Viele Samenkörner! Alles Kinder einer einzigen Kornblume.“
„Und aus jedem Samen wächst im nächsten Jahr eine neue Blume mit wieder ganz vielen neuen Samenkindern“, ergänzt das Kind. „Das ist toll!“
„Ja! Es ist wundervoll. Die Natur ist wundervoll.“ Der Alte nickt.
„Aber warum sammelst du all diese Samen?“
Das Kind deutet auf das Samensäckchen.
„Hier drin können doch keine neuen Blumen wachsen. Dazu brauchen sie Erde und Wasser und Licht und Sonne. So etwas lernen wir nämlich doch in der Schule, weißt du?“
Nun lacht der Alte.
„Du hast recht. Dieses Säckchen wird zum Winterquartier für all die Blumensamen, die ich in diesen Tagen finde. Im Frühling werde ich sie überall dort aussäen, wo bunte Blumen fehlen und Bienen hungrig sind. Dort werden sie ihre neue Heimat finden.“
„Das gefällt mir.“ Das Kind freut sich. „Darf ich dir beim Samensammeln helfen? Ich kenne nämlich auch viele Plätze, die in diesem Sommer nicht blumenbunt gewesen sind. Damit sich die Bienen im nächsten Sommer freuen, und auch die Hummeln, Schmetterlinge, Vögel und Käfer. Ja, und auch die Menschen. Fein wird das!“
„Na, dann mal los!“ Der Alte spuckt in die Hände. „Es wartet noch viel Arbeit auf uns. Fangen wir an!“
Und das tun sie auch, der beiden Samensammler, und sie sammeln noch viele Blumensamen in diesen Wochen.
© Elke Bräunling
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