Wie gut, dass wir uns haben

Adventsgeschichte für Senioren – Das Leben ist schön und keiner muss alleine bleiben

Elisabeth schleppte eine schwere Tasche die Treppe hinauf. Trotz der winterlichen Kälte schwitzte sie heftig
„Das war’s!“, stöhnte sie, als sie sich in der Küche auf einen Stuhl fallen ließ. „Alles ist eingekauft. Ich werde das Haus nicht mehr verlassen vor Weihnachten, es sei denn, jemand lädt mich zum Weihnachtsmarktbesuch ein.“
„Und du bist dir sicher, dass du alle Geschenke beisammen hast?“ Ihre Nachbarin Inge, die sie auf der Straße getroffen und zu einem Kaffee eingeladen hatte, sah Elisabeth ungläubig an. „Und die Lebensmittel? Kommst du damit aus? Es sind doch noch sechs Tage! Was willst du überhaupt kochen zum Fest? Wie lange bleiben die Kinder eigentlich?“ Sie konnte ihr schnelles Sprechen, das an einen Wasserfall erinnerte, einfach nicht ablegen.
„Geschenke habe ich schon lange gekauft. Damit fange ich bereits im Sommer an. Außerdem gibt es bei uns nicht viel. Für jeden eine Kleinigkeit, das muss reichen“, antwortete Elisabeth.
Sie stand auf und setzte die Kaffeemaschine in Gang. „Viel zu tun wird es auch nicht geben“, sagte sie dann mit einem Seufzen. „Die Kinder kommen nur an Heiligabend zur Bescherung. Sie bleiben auch nicht zum Essen. Sind irgendwo eingeladen, sagen sie. Und am nächsten Tag fahren sie früh schon los. In den Skiurlaub.“
Inge schwieg. Das kam nicht so oft vor bei ihr. Nach einer Weile räusperte sie sich und nahm einen Schluck von ihrem Kaffee.
„Bei mir ist es ähnlich!“, verriet sie dann. „Ich werde auch alleine sein, sogar an Heiligabend. Meine Kinder haben … andere Pläne.“
Nun schwieg Elisabeth für einen Moment. Dann stand auf, schob einen Stuhl vor das Küchenbuffet, kletterte hinauf und griff nach einer großer Plätzchendose, die oben auf dem Schrank stand.
„Um Himmels willen, pass auf und fall da bloß nicht runter!“, rief Inge und sprang auf. Sie hielt Elisabeth am Arm, bis diese wieder sicheren Boden unter den Füßen hatte.
„Mir passiert schon nichts“, behauptete diese. „Und wenn schon …“
Sie stockte mitten im Satz und hielt sich erschrocken den Mund zu. Eine aufgeregte Röte hatte in Windeseile ihr Gesicht überzogen.
„Entschuldige bitte. Ich weiß nicht, wie ich so etwas sagen konnte. Es ist mir einfach so herausgerutscht und töricht ist es auch. Das Leben ist schön. Oder?“ Sie sah Inge eindringlich an. „Es ist doch schön?“
„Ich habe mich das schon oft gefragt und immer wieder konnte ich mir selbst die Antwort geben: Ja, das Leben ist schön – nicht immer. Manchmal quälen uns Sorgen, Krankheiten, Einsamkeit. Doch dann ist da wieder ein Licht! Elisabeth, deine Kinder sind gesund, du hast zu essen und ein warmes Zuhause. Das haben viele nicht. Und …“
Inge machte eine kurze Pause.
„Und?“, fragte Elisabeth.
„Und du hast mich! Wir zwei machen uns nun fein und gehen zum Weihnachtsmarkt und zu Weihnachten sind wir nicht alleine, denn wir haben uns!“

© Elke Bräunling


Bildquelle © Catkin/pixabay

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