Ein Lächeln für Oma Becker

Geschichte für Senioren zum Vorlesen – Ein bisschen Liebe und Wärme braucht jeder

Die Terrassentür war weit geöffnet. Frau Becker nutzte die frische Morgenluft, um durchzulüften nach den letzten heißen Sommertagen. Diese Gelegenheit, einmal einen Blick ins Haus zu werfen, wollte sich Emmy, die Feldmaus, nicht entgehen lassen. Schon lange hatte das Haus sie gelockt. Es roch so fein von der Tür her. Ein Geruch, der Emmys die Zunge wässrig machte und ihr Bäuchlein rumoren ließ. Ob es dort etwas zu essen gab?
Nun hatte sie die ersten Schritte getan. Sie wagte es nicht, mitten durchs Zimmer zu laufen und hielt sich an die Fußleisten. Dort huschte sie von Ecke zu Ecke. Ein wenig unheimlich war ihr das, denn von den Menschen hatte sie nichts Gutes gehört.
Da! Ein Fuß! Plötzlich war er da und fast wäre er auf ihren Kopf getreten. Huch!
Emmy duckte sich. Als sich ihr Herzschlag wieder beruhigt hatte, blinzelte sie zu dem Fuß hinüber. Er gehörte zu einer Menschenfrau. Einer sehr alten Menschenfrau. Die saß reglos da und blickte an die Zimmerwand. Weit aufgerissen waren ihre Augen.
Seltsam sah das aus, so große Augen hatte sie. Da, jetzt zwinkerte sie mit den Augendeckeln. Was das wohl zu bedeuten hatte? Emmy wagte nicht zu atmen.
Das Auge wurde nass. Ein silbernes Perlending löste sich und tropfte langsam über die Wange der Frau. War es das, was die Menschen ‚Weinen‘ nannten?
Emmys kleines Mauseherz empfand Mitleid. Wenn sie nur wüsste, wie sie der Frau helfen konnte. Langsam, ganz langsam verließ sie ihr Versteck. Vor dieser traurigen Frau fürchtete sie sich nicht. Nein, trösten wollte sie sie. Zum Lachen bringen.
Vorsichtig kletterte sie Schritt für Schritt für Schritt am Hosenbein der Frau hoch. Als sie schließlich auf dem Schoß angelangt war, berührte sie zaghaft eine der Hände, die dort lagen. Dann kletterte sie auf die Handfläche und setzte sich auf ihre Hinterpfötchen, um ein wenig größer zu erscheinen. Vorsichtig und ganz langsam hob die Frau ihre Hand an. Ihre Augen glänzten nun. Der schöne Mund mit den himbeerroten Lippen verzog sich zu einem Lächeln.
„Hallo, kleine Maus!“, flüsterte sie. „Wie schön, dass du gekommen bist. Ich habe gerade von dir geträumt und nun bist du da.“
Oh, die Frau roch herrlich! Nach den Lavendelblüten, die Emmy liebte. Sie schnupperte. Aber sie verstand nicht, warum die Frau geweint hatte, wenn sie doch von ihr geträumt hatte.
„Was habe ich denn in deinem Traum gemacht, dass du so traurig bist?“, fragte sie.
„Oh, mein Liebes!“ Die Frau lächelte wieder. „Nichts hast du getan. Du hast mich aus einem dunklen Traum, der mich ängstigte, gerettet. Gerade, als ich mich sehr fürchtete, sah ich dich ins Zimmer schlüpfen. Dein Kommen hat meinen Traum hell gemacht.“
“Mutter, mit wem redest du da?“ Frau Becker hatte das Zimmer betreten und wunderte sich.
Schnell schloss die alte Frau ihre Hand und versteckte die kleine Maus darin.
„Ach, ich rede mit mir selbst“, antwortete sie. „Lass mich noch ein Weilchen hier sitzen und träumen, es ist gerade so schön still hier.“
Und es war wirklich sehr still im Zimmer. Wenn man aber genau hinhörte, vernahm man ein leises, fröhliches Kichern von Emmy, der kleinen Maus. Und die alte Dame, die kicherte mit. Leise.

© Elke Bräunling & Regina Meier zu Verl


 

 

 

 

 

 

 

Lächeln?, Bildquelle © Free-Photos/pixabay

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