Advent auch hier und ohne viele Worte

Adventsgeschichte zum Vorlesen – Heimliche Adventsüberraschungen vor der Tür

„Nanu?“, wunderte sich der Fabian Schmitt. „Ein Tannenzweig vor meiner Wohnungstür? Wer hat ihn hierher gelegt?“
Er streckte den Kopf aus der Tür in den Flur des Mietshauses. Vor der Tür der Frau, die Gedichte schrieb, lag auch ein Tannenzweig. Seltsam. Ob sie es gewesen war, die den Zweig vor seine Tür gelegt hatte? Nein, das ergab keinen Sinn. Warum sollte sie das tun? Sie wollte sonst auch nur für sich sein. Sie musste nämlich ihre Worte für die Gedichte aufsparen. So hatte sie es ihm einmal erklärt. Viel mehr Worte hatte sie nicht übrig, schon gar nicht für Plaudereien unter Nachbarn, die man sich nicht aussuchen konnte. Und wenn er ehrlich war, erging es ihm ähnlich. Auch für ihn waren ein paar Worte der Erinnerung die kostbarsten Schätze, die er besaß. Er wollte mit ihnen nicht verschwenderisch umgehen und sie schon gar nicht teilen.
Der Tannenzweig bestand aus zwei Worten, Tanne und Zweig. Um sie ließen sich viele Gedanken spinnen. Er freute sich darauf. Den Zweig hob er auf und trug ihn in seine Wohnung.
Am nächsten Morgen lag wieder ein Zweig vor seiner Tür. Er war dekoriert mit einem roten und einem weißen Band, zu Schleifchen zusammengebunden.
Fabian atmete tief durch, um der Aufregung, die ihn beherrschen wollte, nicht zu viel Raum zu geben. Auch vor der Tür der Dichterin lag ein Zweig. Mit roten und goldenen Schleifen. Das gefiel ihm und als er später in der Stadt Besorgungen machte, kaufte er auch dickes Zeichenpapier und Kohlestifte. Früher, bevor der Ernst des Lebens so richtig nach ihm gegriffen hatte, war er einmal ein guter Zeichner gewesen. Bilder wollte er nun zeichnen, Skizzen, mit ungesagten Worten in schwarz-weiß. Vielleicht würde die Dichterin neue Reime in ihnen finden. Vielleicht würde sie sich auch nur freuen. Der Gedanke gefiel ihm.
Als am nächsten Morgen wieder ein Tannenzweig, mit Strohsternchen geschmückt, vor ihrer beider Türen wartete, legte er eine seiner neu angefertigten Zeichnungen zum Zweig vor die Nachbartür. Ein Bild von zwei Menschen, die aus dem Dunkel kamen, und einer Straßenlaterne, deren Licht das Haus ein wenig erhellte. Es war ein gelungenes Bild. Er war stolz darauf. Ob sie die ungesagten Worte darin zu lesen vermochte?
Er freute sich, als er zu seiner Wohnungstür zurück ging. Als er den Tannenzweig, der auf dem Fußabstreifer auf ihn wartete, aufhob, sah er das Papierblatt. Es war schweres Papier, dem seinen nicht unähnlich, dicht beschrieben mit vielen Worten, in Versen vereint. Was für ein Schatz! Sie hatte also die gleiche Idee gehabt wie er, war ihm sogar zuvorgekommen. Sein Herz schlug schneller, als er danach griff.  Er wusste nun wieder, dass die Adventszeit noch immer eine verzauberte Zeit war. Wie hatte er es vergessen können?
Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Er blinzelte noch einmal zu ihrer Tür hinüber, bevor er in seiner Wohnung verschwand. Er hatte zu tun, um auch für morgen eine kleine Überraschung für sie vorzubereiten.
Auch der ‚Engel‘, der um die Ecke schielte, lächelte. Er war zufrieden. So war also nun endlich auch hier bei diesen beiden Menschen der Advent eingezogen.

© Elke Bräunling

 

 

 

 

 

 

 

Geschichte zum Vorlesen, bei Veranstaltungen u. geselligem Beisammensein, im Seniorenheim und/oder Zuhause

Bildquelle © guvo59/pixabay

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