Die Fastenzeit fällt aus
Geschichte zur Fastenzeit – Von Verzicht und Zwängen und vom einem lebenswerten Leben
Ein Kuchen stand auf dem Frühstückstisch. Ein duftender Vanillekuchen mit Schokoladenstückchen.
„Hmm!“ Hermann sog genießerisch diesen köstlichen Duft ein und der graue Februarmorgen erschien ihm gleich ein bisschen heller und freundlicher. Und hatte da nicht eben ein kleines blaues Himmelsstück durch die Wolken geblitzt? Oder hatte ihn dieser unwiderstehliche Duft ein bisschen genarrt? Verdutzt starrte er auf den Kuchen.
„Kuchen?“, murmelte er dann. „Heute beginnt doch die Fastenzeit. Hm. Hm. Das gibt mir nun zu denken. Hm.“
„Was gibt dir zu denken, mein Lieber?“ Ella kam mit dem aufgebrühten Kaffee ins Zimmer. „Dieser ungemein köstlich duftende Kuchen?“
„Gibt es etwas zu feiern?“ Erschreckt sah Hermann seine Frau an. „Habe ich einen Festtag übersehen.“
„Nein, hast du nicht.“ Ella lachte. „Mir war nach Kuchen. Man soll das Leben feiern, findest du nicht?“
„Aber … aber es ist … heute beginnt doch die Fastenzeit.“ Hermann geriet ins Stammeln.
Ellas Gesicht lief rot an. „Nichts da!“, brach es aus ihr hervor. „Dieses Jahr fällt die Fastenzeit aus.“
„Sie fällt aus, wirklich?“ Hermann spürte, wie ihm ein Stein vom Herzen purzelte. „Das … das ist sch … ön“ Er wollte eigentlich schade sagen, um seine Freude nicht allzu deutlich zu zeigen.
„Heuchle nicht, Hermann Bauer!“ Ella sah ihren Mann mit strengem Blick an, dann zwinkerte sie ihm zu. „Ich weiß, dass die Fastenzeit für dich eine Leidenszeit ist, nicht wahr?“
Hermann nickte. „Ein … ein bisschen“, gab er zu. „Aber für dich ertrage ich jedes Leid.“
Er grinste und Ella grinste zurück.
„Und warum fasten wir denn nun nicht?“, fragte er später, als er zwei köstliche Stücke Kuchen verspeist hatte und sich zufrieden über den Bauch rieb.
„Fasten bedeutet Verzicht, und ganz ehrlich, ich habe gerade die Nase voll, auf irgendetwas, was das Leben schön macht, freiwillig zu verzichten. Gründe zum Verzichten hatten wir in den letzten drei Jahren genug. Es reicht. Das Leben ist zu kurz, um sich selbst das Schöne und Gute zu verbieten. Wozu?“
Lisa redete sich fast in Rage und sie schien auch kein Ende finden zu wollen.
„Was mussten wir nicht alles erdulden!“, schimpfte sie los: „Quarantäne, Ausgangssperre, Maskenzwang, Desinfektionen, als seien wir schmutzige Virenschiffe, dann dieses Drängen auf eine Spritze, die nicht richtig erforscht war und immer diese schreckliche Angst. Wovor? Vor dem Leben oder doch eher vor den Menschen, die uns das antun? Und dann …“
„Halt ein, Liebes!“ Hermann mochte das alles nicht hören. Nicht mehr. Er spürte, wie die Angst, die ihn drei Jahre lang gequält und fast aufgefressen hatte, in ihm aufmuckte. „Ich weiß, was du meinst. Ich weiß alles, aber …“
„Aber du willst nicht darüber sprechen.“ Ella war leise geworden. „Das möchte ich auch nicht mehr.“ Und noch leiser fügte sie hinzu: „Sie haben uns drei Jahre unseres kostbaren Lebens gestohlen und deshalb … deshalb gebe ich keine weitere Minute davon her. An nichts und niemanden.“
„Und deshalb fasten wir nicht mehr!“
Hermann hatte verstanden. Das Leben war zu kurz und verdiente es nicht, unter unnötigen Zwängen gelebt zu werden. Und Fasten, das war so eine unnötige Sache. Seine Ella hatte so recht. Was war sie doch für eine kluge Frau.
„Gibt es also nun jeden Morgen Kuchen zum Frühstück?“, erkundigte er sich vorsichtig. „Das würde mir gefallen.“
Ella lachte. „Wer sich gut und richtig ernährt, braucht diese Fasterei nicht“, erklärte sie. „Aber Kuchen, der sollte eine Ausnahme bleiben. Eine, auf die man sich ab und zu besonders freuen kann. Was ist das Leben ohne Freude?“
© Elke Bräunling
Kleine Verführungen, Bildquelle © congerdesign/pixabay