Nicht in unserem Alter?
Geschichte für Groß und Klein – Man ist nie zu alt für das Leben und für das Protestieren
“Es ist an der Zeit, wieder auf Bäume zu klettern”,* sagte Oma Schmitt zu Opa Schmitt.
Der lachte. „In unserem Alter? Hoho, meine liebe Lene! Das überlasse mal lieber den Jüngeren. Wir beide sollten brav und bequem unter den Bäumen auf einer Bank sitzen und den Tag genießen. Und das ist auch in Ordnung so.”
„Alter? In Ordnung?” Lene baute sich vor ihren Mann auf, die Hände in die Seiten gestemmt, und blickte ihn mit wilder Miene an. “Was redest du da?”
Klaus erschrak. Hatte er etwas Falsches gesagt? Vernünftig hatte er sein wollen. Und ganz ernst genommen hatte er Lene gerade auch nicht. Nun aber sah sie ihn an, wie sie ihn damals vor vierzig und mehr Jahren angesehen hatte, als sie gemeinsam gegen alles, was der Staat damals als für vernünftig erachtete, demonstrierten: Raketen, Straßenbahngebühren, Waffendepots, Atomstrom, Gleichberechtigung, Waldsterben, Kriege, Friedensaktionen und all die anderen Themen, die damals ‘in’ und aktuell gewesen waren. Missstände, die nicht in ihr Weltbild passten. Damals waren sie auf Bäume geklettert. Auch auf Bahngeleise und Straßenkreuze hatten sie sich mit Gleichgesinnten gelegt und für eine gute Welt demonstriert. Eine wilde Zeit war es gewesen. Eine wilde, aufregende und gute Zeit.
Und genau so aufregend und wild sah ihn Lene nun an. Ihre Augen funkelten und die Wangen leuchteten rot wie damals. Wutrot. Lange hatte er sie so nicht mehr gesehen. Es stand ihr gut und Klaus wusste wieder, warum er sich in sie verliebt hatte. Diese Leidenschaft!
“Wie gut, dass sich nicht alles verändert hat seither”, sagte er schließlich.
“Wie meinst du das nun wieder?” In Lenes Stimme sang die Ungeduld ein raues Lied.
“Ich meine damit, das ich dich noch immer so liebe wie damals, als wir auf Bäume kletterten und unsere Meinung in die Welt hinaus riefen. Es war eine gute Zeit.” Er lächelte. “Aber nun sind wir Großeltern und …”
Lene ließ ihn nicht ausreden.
“Und?”, rief sie voller Leidenschaft. “Du meinst, wir müssten nun das Unrecht, das in dieser Welt geschieht, gutheißen? Damals haben wir für unsere ungeborenen Kinder um ein besseres und friedlicheres Leben gekämpft. Nun kämpfen wir für unsere Enkel, die dieses Chaos, in dem wir leben, nicht verdient haben.“
„Ach, Lene!“ Klaus winkte ab. „Was haben wir mit unseren Protesten erreicht? Nichts. Du weißt selbst, wie frustriert wir manchmal waren.“
Lene nickte. „Frustriert, ja, das waren wir immer wieder. Aber wir waren auch zufrieden mit uns. Zufrieden und lebendig. Denn wir haben uns gewehrt, und das hat sich gut angefühlt.“
Sie lächelte nun auch. „Komm, Klaus, lass uns aus diesem Alltagseinerlei ausbrechen. Ich mag nicht länger all das, was uns an dieser Welt nicht schmeckt, schweigend hinnehmen. Und ja, ich möchte mich wieder lebendig fühlen und auf Bäume klettern. Lass uns wieder auf die Straße gehen und den Leuten, die für Frieden und Freiheit kämpfen, mit unserem Protest helfen!“
Klaus nickte. „Eine gute Idee! Ich bin dabei”, sagte er und seine Augen blitzten. “Und ja, ich möchte es auch wieder: Lebendig sein mit dir, egal ob auf Bäumen … oder auf Bänken unter Bäumen.“
Er zog sie in die Arme und hielt sie fest. Um sich alt zu fühlen, blieb später noch Zeit.
© Elke Bräunling
* Diese Geschichte bezieht sich u.a. auch auf das wunderschöne und sehr treffliche Zitat von Astrid Lindgren: „Es gibt kein Verbot für alte Weiber, auf Bäume zu klettern.“
Bäumekletterer, Bildquelle © un-perfekt/Pixabay
Klaus und Lene gefallen mir sehr… Übrigens fallen mir bei Demos gegen Rechts, gegen Umweltverschmutzung, gegen TTIP, Monsanto & Co. stets auf, dass sehr Viele, die dort mitmachen, grau- bzw. weißhaarig und bereits “gesetzteren Alters” sind. 😉
Gut so. Resignation wäre gerade jetzt nicht von Vorteil.
(Wenn ich allerdings sehe, wie oft wie vergeblich unsere Kämpfe damals waren, könnte ich heulen. Emanzipation zum Beispiel und Gleichberechtigung, vom Kampf gegen das rechte Geschw*rl ganz zu schweigen – und vieles mehr. Da braucht’s viel Kraft, nicht den Kopf in den Sand zu stecken)
Wir sollten mal gemeinsam eine Geschichte von den neuen “Graupanthern” unserer Generation schreiben. Wäre mal ein Thema. Eine ironisch aufrüttelnde …
Samstagsgruß
Ele
🙂
eine wunderbare Geschichte.Ich wette 100 Taler dass es auch heute noch viele Senioren/+innen gibt die ähnlich denken und sich fühlen – egal ob das Alter für sie schon ab 50/erst mit 60 oder erst mit 70/80 gibt. Neue Graupanther – ja diesen Ausdruck kenne ich auch /von früher, und er stimmt noch heute, denn die Alten” können auch noch ganz schön die Zähne fletschen, wenn sie bemerken dass vieles was sie in die Welt gesetzt und erkämpft haben
wieder ” wie man so schön sagt” anderen schnurz” und für die Katz war.
mitmachen ist- sich lebendig fühlen
aufgeben tun sich nur die, die resigniert haben und abgestumpft sind.
da würde es auch nichts helfen, wenn sie heute noch auf die Bäume kämen..
lieben Gruß angelface….
Danke, du Liebe, für deine Worte. Keiner muss “alt” werden in dem Sinne, wie man es erwartet. Dieses Bild vom schwachen Alten ist ein gesellschaftliches Bild, dem wir uns unbewusst anpassen, wenn wir alt werden. Zu leise und zu wenig sind die Stimmen, die uns erklären, dass es nicht so sein muss. Wir alle könnten viel älter werden und dabei nicht alt und zerbrechlich aussehen und uns auch gesund fühlen. Es ist nur eine Frage der Lebensweise (Bewegung, Ernährung, Einstellung), wie wir altern. Ich habe gerade gestern einen “alten” Herrn beim Sport kennen gelernt und ich dachte, einen Fünfzigjährigen vor mir zu sehen. Er war 79! Großartig! Ich nehme mir ihn und seine ebenso fitte Frau zum Vorbild.
Lieber Gruß, Ele
Schön erzählt. Es ist so toll, wenn man einen Klaus hat, der sagt: ‘Ich bin dabei’.
Ansonsten hätte die liebe Lene ein dickes Problem.
Man ist nie zu alt für das Leben, wenn man das Schöne sieht, nicht stehenbleibt,
sich über Schönes freuen und für Neues begeistern kann, und zwar jeden Tag
aufs Neue.
Liebe Grüße von einer 83-jährigen Leserin aus dem Münsterland.
Dankeschön, liebe Edith, für Ihren schönen Kommentar. Er freut mich sehr. Und ja, es ist so wichtig, sich freuen zu können und es gibt so vieles, worüber man sich jeden Tag freuen kann, im Großen wie im Kleinen.
Ich wünsche Ihnen noch viel Freude in diesem Sommer
Liebe Grüße, Elke (mein zweiter Vorname ist übrigens Edith 🙂 )