Frühlingswonne

Frühlingserzählung – Ruhe finden mit Natur und schönen Worten

Genießet sie mit tiefer Wonne,
unsre holde Frühlingssonne,
sie vertreibt so manche Schmerzen,
schickt ein Lächeln in die Herzen.
Tiefe Wonne.
Frühlingssonne.
Sie schenkt reine Lebensfreude
an Frühlingstagen so wie heute.

„Ach, wie schön!“
Der Mann schloss das Notizheft, in das er den kleinen Vers notiert hatte, und verstaute es mit dem Stift in der Tasche seiner Lederjacke.
Er hielt einen Moment inne, atmete durch und sog die süße Frühlingsluft tief in sich auf. Dann lehnte er sich an den Stamm eines blühenden Apfelbaums und verharrte. Diesen Moment wollte er in aller Ruhe und mit allen Sinnen genießen. Es war wirklich schön hier.
Bienen und Hummeln summten und brummten in den Apfelblüten und füllten ihre kleinen Pollenbeutel. Zitronenfalter und winzige blaue Schmetterlinge, deren Namen er nicht kannte, flatterten elfengleich von Zweig zu Zweig auf der Suche nach Nektar und in den Büschen stritten Spatzen.
Was für eine Idylle! Wie hatte er sich in diesem langen Winter danach gesehnt. Frühling! Endlich!
Ewig könnte er hier so stehen, schnuppern, genießen und neue Verse schmieden. Er liebte die Natur so sehr und immer, wenn er meinte, sein Herz würde vor lauter Gefühl überquellen, schlichen sich Worte, die die Zeit vergessen wollte, in seine Gedanken.
„Tiefe Wonne und holde Frühlingssonne“, murmelte er nun. „Was für wunderschöne Worte. Sie geben diesem Frühlingstag seine besondere Melodie.“
Dann musste er schmunzeln.
„Du bist altmodisch!“, würde die Frau, die nicht mehr seine Frau war, jetzt lästern. „Diese altbackenen Worte trauern alten Zeiten hinterher, die es nicht mehr gibt.“
Ja, genau so würde sie es sagen und bestimmt würde sie es auch nicht verstehen, dass er seine freie Zeit mit Genuss unter einem blühenden Baum verbrachte und nichts tat. Nichts in ihren Augen, viel in den seinen. Den Bienen, Käfern und Schmetterlingen zusehen war so aufregend schön. Den Duft der Blüten genießen, das Gesicht vom sanften Frühlingswind streicheln lassen und den Frühling mit allen Sinnen spüren. Es war so viel mehr als Worte es auszudrücken vermochten. Obwohl, diese alten „altmodischen“ Worte trafen das, was er gerade empfand, viel besser.
„Blütenschaum“, sagte er andächtig. „Flimmerstille, Frühlingshimmelblau, Sehnsuchtsduft, Gemütsvergnügung, Himmelsleichtigkeit, Blütenfrische, Wonneträume …”  Er lächelte. „Wundervolle Worte alter Dichter, die zum Wohlfühlen einladen. Zum Zuhausefühlen. Man sollte sich ihrer mehr erinnern.“
Er zog das Notizheft wieder hervor und notierte rasch die Worte, die sein Herz ihm diktiert hatte, damit er sie nicht wieder in der Hektik des Alltags vergaß.

„Blütenschaum und Wolkenflaum
so schmeichelnd in der Kehle.
Der Sehnsucht Worte sing ich heut.
Sie streicheln meine Seele …
Flimmerstill und Sehnsuchtsduft
und Himmelsleichtigkeit.
Wonnetraum und Frühlingsluft
und Hochzufriedenheit …“

Der Mann nickte zufrieden. Dann blickte er auf seine Uhr und erschrak.
Er hatte an diesem idyllischen Ort ganz die Zeit vergessen.
„Ich muss weiter!“, sagte er zu dem Baum, „aber ich werde wiederkommen, mein Freund.“
Er schloss den Reißverschluss seiner Jacke, setzte den Helm auf und stieg auf die große Maschine. Ein letzter Blick zu dem Apfelbaum, dann heulte der Motor auf und der Mann raste davon in die andere Welt, in der er lebte und in der Gedichte und alte Worte nicht mehr viel Wert hatten.

© Elke Bräunling

Wortsammler, Bildquelle © Pexels/pixabay

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