Das nette Wort

Geschichte über Liebenswürdigkeit und Lebensfreude – Man sollte netter zueinander sein

“Sag doch mal ‘was Nettes!”
Oma Bergmann stupste ihren Mann in die Seite. “Einmal nur, bitte! Weil Sonntag ist.”
“Etwas Nettes?”, fragte Opa Bergmann, und seine Stimme klang etwas brummig, nein, eher genervt. “Was ist, bitteschön, an einem Sonntag schon nett?”
“Der Tag”, antwortete seine Frau. “Die Sonne scheint, in den Gärten ringsum herrscht eine himmlische Ruhe, die Rosen und Taglilien blühen und ein bisschen auch schon der Lavendel, und ich sehe viele Bienen und Käfer und Schmetterlinge, die sich an den Blüten erfreuen.”
“Hm. Wäre ja noch schöner, wenn die Nachbarn mit ihren grässlichen Rasenmähern, Akkuschraubern, Holzhäckslern, Heckenscheren und dem lauten Kindergekreische heute hier lärmten. Sonntag ist der Tag der Ruhe.” Opa Bergmann schien wirklich sehr misslaunig zu sein.
“Und der Tag des Sonntagkuchens”, sagte Oma Bergmann und legte ein dickes Küchenstück auf seinen Teller. “Apfelquarkkuchen mit einer Zuckerschmandkruste. Dein Lieblingskuchen, extra nur für dich gebacken.”
Mit vielen Hoffnungsfunken in den Augen sah sie ihren Mann an. Jetzt, ja, jetzt würde er doch etwas Nettes zu ihr sagen. Oder?
„Danke“, sagte er da. Danke und sonst nichts.
Ein ‚Danke’ ist ja beinahe auch schon etwas Nettes. Es ist auch ein Ausdruck der Höflichkeit, sich für eine Gabe oder eine Bemühung zu bedanken. Es gehört zum Leben dazu und ist nun kein außergewöhnliches Wort, das Oma Bergmanns Wunsch nach etwas Liebenswürdigkeit oder gar einem Lob zu erfüllen vermochte.
Ehe sie sich darüber erregen oder sogar maulen konnte, hatte ihr Mann den Kuchen bereits verspeist. Schweigend.
Dieser alte Brummbär!
“Möchtest du noch ein Stück?”
“Wenn du noch eines für mich übrig hast”, brummte er mit übellaunig klingender Stimme und leisen Lachfältchen um die Augen. Ein bisschen nämlich wollte er seine Frau noch auf die Folter spannen.
“Natürlich kannst du noch ein Stück Kuchen haben”, brummte nun auch Oma Bergmann, deren gute Laune sich gerade verabschiedete, zurück. Sie deutete auf den Kuchen, der auf dem fein gedeckten Tisch neben dem hübsch gepflückten Gartenblumenstrauß stand. “Oder für wen, denkst du, habe ich den Kuchen gebacken, wenn nicht für dich?”
“Für deine lieben Freundinnen Petra und Josette vielleicht?”
Opa Bergmann schmunzelte auf einmal und deutete zum Gartentor. Zwei ältere Damen standen dort und winkten.
“Ich habe sie eingeladen zum Dank, dass du in den letzten Wochen nach meinem Beinbruch so viel Geduld mit mir gehabt hattest und meinetwegen immer wieder deine Freundinnen versetzen musstest. Ich danke dir, mein Liebes! Du bist die beste Frau auf der Welt.”
Er umarmte Oma Bergmann und flüsterte ihr ins Ohr: “Na? War das nun etwas Nettes?”
Dann stand er auf und eilte mit einem Lächeln zur Gartenpforte, um die Gäste zu begrüßen.
Und Oma Bergmann? Die war so verblüfft, dass sie erst einmal nichts sagte. Auch nichts Nettes. Sie dachte es nur.

© Elke Bräunling

Seid nett zueinander!, © Bildquelle EM80/pixabay

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