Wo ist der rote Schal?
Vorlesegeschichte mit einfacher Struktur für an Demenz erkrankte Menschen
Es hat noch einmal geschneit. Nun aber blinzelt die Sonne durch die Wolken. Sie lädt zu einem Spaziergang ein.
Emma und Max beschließen, zum Parkcafé zu spazieren. Sie haben Appetit auf Kaffee und Kuchen. Und sie haben Sehnsucht nach Sonnenstrahlen.
„Kommst du, Emma?“, ruft Max von der Haustür her.
„Gleich!“, antwortet Emma. „Ich suche noch meinen roten Schal. Er passt so gut zu meiner Mütze und den Stiefeln.“
Der rote Schal ist seit vielen Jahren Emmas Lieblingsschal. Er erinnert sie an frühere Wintertage und an viel Spaß im Schnee. Doch nun findet sie ihn nicht.
„Er ist wie vom Erdboden verschluckt“, klagt sie.
Dann suchen beide. Nichts. Der Schal ist verschwunden.
„Wo kann er bloß sein?“, fragte Emma mit trauriger Stimme.
„Gräme dich nicht!“, tröstet Max sie. Er legt den Arm um Emmas Schultern.
„Komm, Liebes!“, sagt er sanft und reicht ihr einen lilafarbenen Schal. „Der passt auch gut zu deiner Mütze. Bestimmt findet sich dein Lieblingsschal bald wieder.“
Emma seufzt. Dann folgt sie Max nach draußen.
Die frische Luft tut gut und die Strahlen der Sonne wärmen ihre Gesichter.
Emma fühlt sich gleich besser.
„Es ist wie im Urlaub“, freut sich Max.
„Stimmt!“ Emma nickt. „Dieser Spaziergang ist eine gute Idee. Die Schneewelt ist so wunderschön.
„Schau mal!“ Max zeigt zu der verschneiten Wiese hinüber. „Was für ein prachtvoller Schneemann!“
„Ein schöner Kerl!“, sagt Emma. „Einen so feinen Herrn habe ich lange nicht mehr gesehen.“
Die beiden staunen. Der Schneemann ist aber auch ein Prachtkerl. Er trägt einen vornehmen Zylinder und auf der Nase steckt eine Sonnenbrille mit großen runden Gläsern. Ja, und um den Hals trägt er einen Schal. Einen roten Schal
„Das ist ja mein Schal!“, ruft Emma. „Siehst du es, Max? Es ist meiner.“
Voller Freude eilt sie zu dem Schneemann hinüber.
Sie kann es kaum glauben, doch sie täuscht sich nicht. Es ist ihr Schal.
Wie kann das sein?
„Anton, dieser Schlingel!“, sagt Max da und lacht. „Na warte!“
Fragend sieht Emma ihn an. Was hat ihr Enkel Anton mit ihrem Schal zu tun?
„Er war gestern kurz zu Besuch“, erklärt Max. „Ich wette, er hat den Schal stibitzt. Für diesen tollen Schneeherrn da!“
„So ist das also!“ Emma muss nun auch lachen. „Typisch Anton!“
Sie verbeugt sich vor dem Schneemann und fragt höflich:
„Gestatten Sie, dass ich mir meinen Schal wieder nehme? Ihnen ist doch nicht kalt, oder?“
Vorsichtig zieht sie den Schal von des Schneemanns Hals und legt ihn sich um. Und gleich fühlt sie sich noch wohler.
„Ach, wissen Sie“, sagt sie dann zu dem Schneemann, „wir leihen ihnen bis zum Ende Ihrer Tage diesen Schal. Was meinen Sie, Herr Schneemann?“
Sie reicht Max den lilafarbenen Schal und der bindet ihn um des Schneemanns Hals.
Dann gehen sie Hand in Hand – und fröhlich kichernd – zum Parkcafé zu Kaffee und Kuchen.
© Elke Bräunling
Wo ist der rote Schal?, Bildquelle © Robzor/pixabay