Auf nach Capri!
Geschichte für Senioren zum Vorlesen – Träume, die den Tag heller machen
Es regnet, der Tag ist trübe und alle haben schlechte Laune. Fast alle. Frau Wiese nicht. Die sitzt am Tisch und faltet Papierbögen zu Figuren: Vögel, Häuser, Flugzeuge und Schiffe. Viele Schiffe. Es wird bald eine ganze Flotte sein, die vor ihr steht. Und sie faltet immer weiter und summt dabei leise ein Liedchen vor sich hin.
Ein Lied, das nur sie so richtig hört. Nicht ganz. Man muss sich nur neben sie setzen und lauschen. Aber war hat darauf schon Lust an einem Schlechtelaunetag wie diesem? Der Ärger will geärgert werden. Ein Lied braucht man da nicht. Auch kein gefaltetes Papier. So ein Unsinn auch.
‚Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt‘, summt Frau Wiese und faltet.
“Früher”, sagt sie plötzlich laut, “haben sind wir jedes Jahr eine Schiffsreise gemacht.“ Sie nickt. Es ist, als müsse sie das Gesagte für sich selbst bestätigen. “Jedes Jahr.”
Ihre Mitbewohner staunen. Frau Wiese spricht nämlich sehr wenig und wenn, dann nur das Notwendigste, das mit ihrem Tag hier im Stefansstift zu tun hat.
“Wohin sind Sie gereist?”, fragt Herr Paulus, der alte Flussschiffer. Er durchquert mit mühsamen Schritten den Raum und setzt sich zu Frau Wiese an den Tisch.
“Überall hin.” Die alte Dame macht eine allumgreifende Handbewegung. “Fast die ganze Welt haben wir bereist.” Sie ergreift eines der Papierschiffchen und hält es dem Kapitän vor die Nase. “Mit dem Schiff … und …” Sie hangelt nach einem Papierflugzeug und drückt es zusammen mit dem Schiffchen in Herrn Paulus’ Hände. “Und mit dem Flugzeug. Da, nehmen Sie! … Und wissen Sie, wie ich mich jedes Mal unterwegs gefühlt habe?” Sie kichert und greift nach einem Papiervogel. “Frei habe ich mich gefühlt. Wie ein Vogel.”
Nun ist es Herr Paulus, der nickt. “Das verstehe ich. Oh, und wie ich das verstehe. Genau so habe ich mich auch gefühlt.” Er nimmt den Vogel, wiegt ihn in den Händen und schließt die Augen. “Manchmal träume ich mir meine Reisen zurück. Das geht.“
“Ja”, sagt Frau Wiese. “Das geht. Man ist nur alleine mit diesen Reisen. Jetzt. Früher nicht.”
“Stimmt. Und das tut nicht gut.” Der Kapitän greift nach Frau Wieses Hand. “Wollen wir unsere nächste Reise zusammen antreten?”
Da muss Frau Wiese lachen. “Das wird ein schönes Durcheinander geben.”
Der Kapitän lacht auch. Er nimmt zwei Papierschiffchen und zwei Vögel und sieht Frau Wiese fröhlich an. “Was halten Sie von Capri? Wollen wir das bunte Inselchen nicht eben mal gleich besuchen?”
“Capri!” Die Wangen der alten Dame röten sich. “Da war ich lange nicht mehr. Ich habe es sehr geliebt.” Sie lächelt. “Ja, auf nach Capri! Machen Sie die Leinen los, Kapitän!”
© Elke Bräunling
Auch hier sind Italienträume und -erinnerungen im Spiel:
Als Oma damals nach Italien reiste
Auf nach Capri
Sehnsucht, Bildquelle © nitell/pixabay
Geschichte für Senioren zum Vorlesen, bei Veranstaltungen u. geselligem Beisammensein, im Seniorenheim und/oder Zuhause
Liebe Elke, sehr schön Deine Traumreise der Drei die in ihren Erinnerungen schwelgen. Liebe Grüße Eva
Danke, Eva, für deine lieben Kommentar. Erinnerungen sind aber auch zu kostbar. Man sollte sie hegen, damit sie nicht vergessen werden. Ist aber nicht immer einfach, oder?
Lieber Gruß
Ele
Jede schöne Erinnerung ist eine Traumreise, die neue Kraft geben kann.
LG
Astrid
Oh ja! Was wären wir ohne Erinnerungen? In ihnen lebt so vieles.
Ein lieber Sonntagsgruß zu dir
Ele