Abschied im Kräuterbeet
Besinnliche Geschichte für Groß und Klein zum Ende des Sommers – Abschiede bedeuten nicht das Vergessen
„Ach, bleibt doch! Bitte bleibt!“
Mit trauriger Miene stand das Kind im Garten vor dem Kräuterbeet, das die Urgroßmutter angelegt und auch in diesem Sommer gepflegt hatte. „Ihr sollt nicht gehen.“
Es streichelte über die wenigen verbliebenen Zweige der Pfefferminzpflanzen und schnupperte.
„Ihr duftet so süß nach Sommer und Sonne. Das ganze Jahr sollt ihr duften, hört ihr?“
Die Kräutermutter lächelte, als sie das Flehen des Kindes vernahm. Dann weckte sie eine kleine Fee, die sich bereits zum langen Schlaf zurückgezogen hatte, und schickte sie zum Trösten zurück ins Pfefferminzbeet.
„Viele von uns werden dich in den Winter begleiten. Du wirst uns wiederfinden und unsere Lieder hören, wenn Tee aus unseren Blättern in den Tassen duftet“, flüsterte die kleine Pfefferminzfee dem Kind nun zu. „Die alte Frau, die du Urgroßmutter nennst, hat viele Sträuße mit unseren Blättern gepflückt und zum Trocknen aufgehängt. Nun warten sie in Dosen verpackt auf ihre Zeit.“
„Und wie ist es mit euch?“ Das Kind bückte sich über den mager gewordenen Strauch des Liebstöckels und ergriff einen der letzten Zweige. „Ihr sollt uns bitte auch im Herbst und Winter begleiten.“
„Das wird nicht gehen, liebes Kind“, antwortete der kleine Strauch, der noch vor wenigen Wochen ein großer, prachtvoller Strauch gewesen war. „Das Leben hat andere Pläne mit uns. Es lenkt die Zeit, die uns zusteht. Außerdem, wenn ich ehrlich bin, gebe ich gerne zu, dass ich müde bin. Das Leben macht müde.“
„Ich bin auch oft müde“, erwiderte das Kind. „Am Abend. Doch nach dem Schlaf der Nacht ist das Müdesein müde geworden. Sag, werdet ihr wiederkommen?“
„Auch unser Schlaf wird kein ewiger sein. Wenn die Tage wieder länger und wärmer geworden sind, werden wir uns wiedersehen“, antwortete das Liebstöckelkraut. „Was von uns bleibt, wirst du in Soßen und Suppen riechen und schmecken. Es wird dich an uns und unsere gemeinsame Sommerzeit erinnern. Vielleicht träumst du manchmal dann unsere Träume.“
„Das will ich tun. Und ich werde euch im Garten besuchen und euch meine Geschichten vom Winter erzählen.“
Das Kind nickte. Es wusste nun, dass Abschiede nicht das Vergessen bedeuteten.
© Elke Bräunling
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