Im allerkleinsten Kleinen

Erzählung mit Gedanken zu Krisenzeiten – Zur Hilfe in der Not muss jeder bei sich selbst anfangen

„Wie geht’s?“
„Geht so.“
„Geht so?“
„Na ja. Könnte besser sein.“
Ach! Minchen schüttelte den Kopf. Sie ärgerte sich. Tagein tagaus wechselte sie diese nichtssagenden Worte mit ihren Nachbarn. Sie erschienen ihr so gleichgültig, so unaufrichtig. Aber man wollte ja höflich sein und bloß nicht preisgeben, was einen wirklich bewegte. Tss! Dabei gäbe es so viele Themen in diesen Zeiten. Zu viele. Sie stöhnte.
Gerne hätte sie einmal gefragt, wie andere sich wappneten gegen das, was auf sie alle zukommen könnte. Soweit sie wusste, hatten viele hier auch eine Gasheizung. Dazu noch die teuren Lebensmittel! Minchen fragte sich, wie sie die Kosten bewältigen sollte mit ihrer kleinen Rente. Aber darüber redete man nicht. Über gar nichts sprach man mehr. In den letzten beiden Jahren hatten es sich die Menschen, so schien es ihr, angewöhnt, über all die Dinge, die ihnen Sorgen bereiteten, nicht mehr zu sprechen. Als ob sie Angst hätten, etwas Falsches zu sagen.
„Vom Schweigen werden die Sorgen auch nicht kleiner“, murrte sie.
Minchen griff zu ihrem Handy und rief ihre Freundin Anita an. Sie wollte endlich mit jemandem reden, der wie sie tickte und die Dinge gerne aussprach. Anita und sie hatten sich immer gut verstanden, schon viele Jahre.
Während sie darauf wartete, dass die Freundin sich meldete, schoss ihr ein Gedanke in den Kopf: Man müsste zusammen wohnen, das würde die Sorgen halbieren.
„Eine fabelhafte Idee wäre das und eine wunderbare Sache. Wir könnten zusammen einkaufen, kochen, malen, gärtnern, ach, so vieles macht gemeinsam viel mehr Freude. Aber…“
Zweifel kamen, je mehr sie darüber nachdachte und je länger das Handy vergebens läutete. Ob sie überhaupt zusammen passten? Neulich gerade, als sie über die Politiker sprachen, war Anita so ganz anderer Meinung gewesen als sie. Hm! Andererseits waren unterschiedliche Ansichten doch ganz normal. So lange keine von ihnen stur auf ihrem Stadtpunkt beharrte, müsste das doch möglich sein. Vielleicht könnten sie auch voneinander lernen, denn wer wusste schon genau, was richtig war und was falsch?
„Zum Teufel mit der Politik und all dem Kram! Das alles trennt uns doch nur voneinander!“, rief sie aus und wählte Anitas Nummer noch einmal. „In erster Linie kommt es auf uns an, denn die Erde bewegt sich nur, wenn man im allerkleinsten Kleinen zufrieden ist und gute Energien in die Welt sendet. Jeder muss bei sich zuerst beginnen, denn das ist der Anfang von etwas gutem Neuen. Ja, das wünsche ich mir für uns alle.“
Sie lächelte, als sie Anitas Stimme im Hörer vernahm und wusste, dass der Plan ein guter ist und dass er gelingen würde.

© Elke Bräunling


Bildquelle © Surprising_Shots/pixabay

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