Es wird wieder kalt

Eine Geschichte zum Ende des Herbstes – Der Winter der Gärtnerin und die Einstellung zum Leben

„Es wird wieder kalt“, sagte die alte Gärtnerin. „Man sollte sich darauf einrichten.“
„Du meinst, der Winter kommt?“, fragte ihre Nachbarin.
Die Gärtnerin nickte. „Frost soll es geben und aus Regen wird Schnee.“
„So früh?“ Die Nachbarin seufzte. „Auf Kälte bin ich noch gar nicht eingestellt. Aber das ist man ja nie. Mit beiden Händen möchte ich es festhalten, dieses milde Herbstwetter. Ich mag nicht darüber nachdenken, wie ich meine freie Zeit künftig wieder verbringen soll. Dieser Wechsel vom Garten in die Heizungsluft der Wohnung fällt mir am schwersten in dieser Jahreszeit. Nein, ich mag sie nicht, diese Zeit.“
Erschöpft von der ungewohnt langen Rede holte die sonst so schweigsame Frau tief Luft, bevor sie weiter redete. „Sie macht mich traurig, ja, krank fast.“
Die Gärtnerin nickte. „Ich fühle ähnlich, bedeutet der Garten doch mein Leben. Deshalb werde ich mich auch im Winter nicht so sehr von ihm entfernen.“
„Wie soll das funktionieren?“
Die Gärtnerin lachte. „Ganz einfach. Man darf dem inneren Schweinehund, der uns einreden will, es sei zu kalt und unwirtlich, ins Freie zu gehen, nicht nachgeben. Eine Stunde mindestens bin ich daher auch im Winter im Garten zugange. Glaub mir, es gibt immer etwas zu tun.“
„Auch bei Frost und Schnee?“
„Da besonders. Zum Aufräumen findet sich immer etwas. Man muss nach dem Rechten sehen, ob auch alle Pflanzen gut geschützt sind. Ich spreche auch mit ihnen und gemeinsam träumen wir von besseren Zeiten und vom Neuanfang. Und dann sehe ich all das Bunt des Frühlings und Sommers, ich rieche die Düfte der Blüten und Früchte, und ich lausche den Unterhaltungen der Tiere.“
Verträumt blickte die Gärtnerin über die ordentlich aufgeräumten Beete in ihrem Garten.
„So lässt sich in der Tat der Winter ertragen.“ Ihre Nachbarin lächelte. „Ich wusste es doch! Du bist eine Träumerein, nein, eine Fee. Eine verzauberte Fee, der der Lauf der Zeit nichts anzuhaben vermag. Oh, ich beneide dich um deine Gabe!“
„Gabe?“ Die alte Gärtnerin blickte auf. „Träumen kann jeder. Auch du. Warte! Ich gebe dir Schützenhilfe.“
Sie stapfte zu ihrem kleinen Gewächshaus hinüber und kam nach wenigen Minuten mit einem Marmeladenglas voller Kräuter zurück.
„Ein Mutmachtee für dich gegen die Wintertraurigkeit. Alles Kräuter aus diesem Garten mit den Träumen des Sommers. Probiere es aus!“ Sie grinste. „Ich wette, wir werden uns nun auch im Winter hier draußen öfter begegnen.“
„Das wäre fein. Aber auch bei Schnee und Frost und Eis?“
„Auch dann.“
„Und wenn es regnet?“
„Dann?“ Die alte Gärtnerin lachte. „Dann findest du mich im ,Café Meyerling bei einer heißen Schokolade mit einer extra großen Portion Schlagsahne und einem Apfelkuchen. Oder im Postwirt vor einer Schüssel Hirschgulasch mit Klößen und Rotkohl. Auch Feen haben hungrige Mägen, und was gibt es Tröstenderes an nassen kalten Tagen als ein warmes, liebevoll zubereitetes Mahl? Dabei lässt sich träumen und all die Geschichten erzählen, die uns die warmen Tage im Garten geschenkt haben.

© Elke Bräunling


Winterkunst im Garten, Bildquelle © AdelinaZw/pixabay

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