Es grünt so grün und die Magie des Lebens
Fröhliche Geschichte für Junggebliebene – Begegnung im Park und die Freude am Leben
Ein Jammern durchdrang die heitere Stille des Frühlingsnachmittags. Es klang kläglich und Besorgnis erregend.
Die älteren Herren, die sich im Park zum ersten Boulespiel in diesem Jahr getroffen hatten, hielten erschrocken inne.
„Da ruft jemand um Hilfe“, sagte Alfons Humpe.
Sein Freund Georgio Marangi nickte. „Madonna mio“, rief er aus. „Es ist eine Lady. Ihr ist etwas zugestoßen.“
„Wir müssen sie suchen!“ Alfons lief auf den Parkweg hinaus und sah sich um. „Das Weinen kommt von dort“, sagte er und deutete nach links.
„Nein, nein, eher vom See“, befand Georgio und deutete halblinks. „Die Arme wird doch hoffentlich nicht ins Wasser gefallen sein?“
„Auf jeden Fall kommen die Schreie näher. Vom Pavillon her“, sagte ihr Freund Heinz Welter, der bisher geschwiegen hatte. „Das höre sogar ich schwerhöriger Zausel.“
„Du hast recht“, sagte Alfons. „Es nähert sich.“
„Da flieht jemand. Die Dame wird verfolgt. Von einem Peiniger.“ Georgio fuchtelte mit den Händen. „Wie leidvoll ihre Rufe klingen!“
Alfons Humpe nickte. „Wir sind gefragt, Gentlemen.“
„Wenn ihr mich fragt“, wandte Heinz wieder ein, „so ist das keinen Jammern und kein Rufen nach Hilfe, sondern ein Singen. Hört man doch.“
„Singen? Du bist nicht sehr musikalisch, hej?“, fuhr Georgio den Freund an. „So singt doch niemand.“
„Stimmt“, sagte Alfons. „Du hörst wirklich nicht mehr gut. Das ist kein Singen, das ist ein Kreischen. Ein Rufen in höchster Not.“
„Und dieses Dame in höchster Not singt ein Lied aus ‚My fair Lady‘. ‚Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen‘,“ lachte Heinz, der nun gar nicht mehr schwerhörig war. „Jedenfalls soll es das Lied sein. Sehr musikalisch ist die Sängerin wohl nicht. Sie singt sehr falsch und schrill.“
„Du spinnst!“ Georgio machte eine wegwerfende Bewegung und Alfons lachte.
„Ein Musicalsong? Dass ich nicht lache… Lass besser dein Hörgerät überprüfen!“
Heinz grinste und deutete zu dem Weg hinüber, der vom Pavillon vorbei am Boulesplatz zum Parksee führte.
„Ich höre es genau.“ Und er begann zu singen: ‚Es grünt so grün …‘
Das Jammern wurde lauter. Es war ein Jammern in den höchsten Tönen und in einer fremden, slawisch klingenden Sprache, das nicht nach „Hilfe!“ oder „SOS!“ klang.
Die drei Freunde starrten zum Parkweg hinüber.
Da! Da war jemand. Nein, da lief jemand. Mit Stöcken. Walkingstöcken. Eine sehr kleine, sehr alte, sehr mollige Frau in schwarzen Gymnastikhosen, pinkfarbenen Laufschuhen, einer neongrünen Sportjacke und einer grellgelben Kappe über dem langen, grauhaarigen Zopf.
Flott sah sie aus und gar nicht in Not. Von ihren Ohren baumelten Kopfhörer, die mit einem Smartphone verkabelt waren.
Ha! Also doch! Sie sang, die Fremde. Mit lauten, falschen, leicht jämmerlichen Tönen in einer fremden Sprache.
‚Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen‘ …
Laut, schräg, schrill. Ziemlich schrill sogar.
„Es klingt nach Notarzt“, sagte Heinz trocken.
„Nach äußerster Not“, meinte Alfons und Georgio grinste über alle Backen.
„Was für eine flotte Biene! Alle Achtung!“, murmelte er. „Das mache man ihr erst einmal nach! Mein Kompliment.“
Die singende Dame mit den Walkingstöcken hatte sie erreicht und die Freunde nickten ihr grüßend zu.
Ihr Gruß aber blieb unbeachtet. Eisern singend und ohne den Blick vom Boden zu wenden, marschierte die Fremde an ihnen vorbei und ward wenige Minuten später ihren Blicken wieder entschwunden. Nur ihr Gesang blieb noch für ein Weilchen zurück. Er hallte laut und schräg und noch immer unendlich falsch.
„So etwas aber auch!“ Alfons atmete tief durch. „Sport hält jung. Man sollte sich ein Beispiel nehmen.“
„Und fröhlich hält er, der Sport. Singen sorgt für gute Laune“, murmelte Heinz.
„Und Lebensfreude! Habt ihr es gesehen? Die pure Lebensfreude“, schwärmte Georgio. „Man sollte …“
Längst war die Melodie des „grünen Grüns“ verhallt, doch plötzlich erklang von weiter weg von den Gärten her eine neue Melodie. Ein kleines heiteres Liedchen.
„Froh zu sein bedarf es wenig und wer froh ist, ist ein König.“
„Man sollte. … Genau!“, beendete Georgio seinen Satz. „Das … das ist es, was ich die Magie des Lebens nenne. Komme, was wolle.“
Seine Freunde schwiegen und nickten. Dann griffen sie wieder zu ihren Bouleskugeln. Mit einem Lächeln auf den Lippen. Das Leben war schön.
© Elke Bräunling
Boulesspieler (des Boulistes) im Park – Bildquelle © joelARFljoel/pixabay