Herbstkind

Herbstgeschichte für Groß und Klein – Oma liebt den Herbst und sie hat nun viel zu tun

Mein Opa sagt immer: “Zufälle gibt es nicht.” Er muss es wissen, denn er heißt Martin Winter und meine Oma hieß Annette Herbst, als sie noch ein Mädchen war. Dann haben die beiden geheiratet. Jetzt heißt sie auch Winter, aber im Herzen ist sie das Herbstkind geblieben.
Man merkt ihr dieses Herbstkind auch an. Spätestens dann, wenn sich an den Bäumen die ersten Blätter gelb färben, der Himmel so richtig postkartenkitschblau ist und die Herbsterntezeit beginnt, ist Oma nicht mehr zu halten.
Oh, ich liebe es, wenn sie Pflaumenmus kocht oder die süßesten Marmeladen zusammenrührt! Ich spiele da auch eine wichtige Rolle, denn ich muss ständig probieren und meine Meinung dazu sagen. Das gefällt mir.
“Beim Einkochen und Einwecken”, sagt Oma oft, “fühle ich mich in eine andere Zeit versetzt. Ich bin dann noch einmal ein kleines Mädchen, das seiner Großmutter hilft, den Herbst in den Vorratskeller zu zaubern.”
Einmal habe ich sie gefragt, was denn ‚Einwecken’ bedeutet. Ich fand, dass es ein komisches Wort sei.  Oma erklärte es mir so:
“Im Sommer und Herbst haben wir viel Gemüse und Obst im Garten. Da wir das ja nicht alles auf einmal essen können, wecken wir es ein in Gläser. Wenn wir dann im Winter Hunger auf Pflaumenkompott haben, wecken wir es wieder auf, indem wir ein Glas aus dem Keller holen und öffnen. So einfach ist das.”
Das hat mir gefallen, und jedes Mal, wenn Oma im Winter ein Glas mit Eingewecktem öffnet, stelle ich mir vor, wie die Früchte in dem Glas Winterschlaf gehalten haben und nun ihre Augen öffnen und uns ansehen. Manche lächeln uns auch zu, wenn sie auf dem Teller liegen. Das spüre ich genau, wenn sie plötzlich wieder so duften, wie sie es auch im Herbst getan haben. Man könnte dann fast meinen, wieder im Garten zu stehen und den Sommer zu riechen, zu schmecken und zu fühlen.
Wenn ich später erwachsen bin, werde ich das genauso machen wie meine Oma. Mama meint zwar, dass das viel zu viel Arbeit ist. Sie friert die Vorräte lieber ein. Aber ehrlich, die armen Pflaumen, Möhren und Bohnen erfrieren doch dann, oder etwa nicht?
Vielleicht passt ja auch deshalb der Name ‘Winter’ nicht ganz so gut zu Oma. Mit dem Frieren hat sie es als Herbstkind nämlich auch nicht so sehr. Aber das denke ich mir nun gerade nur so. Wie es in Wirklichkeit ist, weiß Oma nur ganz alleine.
Ach ja, mein Papa heißt übrigens Fröhling und so heiße ich auch. Das klingt doch beinahe wie Frühling und wenn Tante Lisa einmal einen Herrn Sommer heiraten würde, hätten wir das Jahr beisammen. Das wäre doch lustig, oder?

© Elke Bräunling & Regina Meier zu Verl

Dieses Gedicht passt gut zur Geschichte: Bei Oma im Herbst

 

Herbstfreuden, Bildquelle © JillWellington/pixabay

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