Müde Frühlingstage

Fröhliche Frühlingsgeschichte – Macht der Frühling krank oder nur müde?

Zwei Mal in der Woche trifft sich Wilhelm im Gasthaus zur alten Post mit seinen Stammtischfreunden. Manchmal auch öfter, besonders dann, wenn es Neuigkeiten gibt im Städtchen oder in der großen Politik. Man trinkt ein Bierchen oder einen Schorle und fachsimpelt, bis die Köpfe rauchen.
„Einen Stammtisch braucht der Mensch“, sagt Wilhelm oft. „Und Stammtischfreunde.“
Dann hebt er sein Glas und sagt: „Prost!“
Seine Freunde pflegen dann aufzustehen, ihre Gläser zu erheben und im Chor laut „Prost! Prosit! Prost!“ zu sagen.
Dann lachen alle, und das tut so richtig gut. Sie sind auch immer guten Mutes und sehr fröhlich. Das Leben ist aber auch schön, wenn man sich so zwanglos treffen kann. Eine Gunst des Alters und des Daseins als Rentner.
Seit einer Woche aber ist die Stimmung gedämpft. Zum Gläser erheben hat keiner der Freunde so recht Lust. Vor ihnen stehen auch keine Gläser, sondern Tassen mit Tee.
Wilhelm wundert sich, als er heute das Wirtshaus betritt.
Nur zwei Freunde sitzen am Stammtisch und rühren lustlos in ihren Tassen.
Tee! Schon wieder.
„Was ist los mit euch?“, brummt er und deutet auf den Tee. „Seid ihr krank? Und wo sind die anderen?“
„Müde!“, antwortet Hans. „Ich bin müde, und schlapp fühle ich mich auch. Seit Tagen geht das schon so.“
„Ebenso“, knurrt Ferdinand. „Ich könnte nur noch schlafen. Du glaubst nicht, wie schwer meine Beine sind.“
Wilhelm hält die Hand erst auf Ferdinands, dann auf Hans’ Stirn.
„Fieber habt ihr keines.“ Er schüttelt verwundert den Kopf. „Jetzt scheint endlich die Sonne und der Frühling ist da“, sagt er. „Und ihr macht schlapp?“
Und als die Freunde nicht antworten, fügt er hinzu: „Ihr seid frühjahrsmüde, nichts weiter. Das ist keine Krankheit. Man muss sich zusammenreißen und aktiv sein.“
Er hält Ferdinands Teetasse hoch und ruft laut: „Prosit!“
Dann bestellt er drei Weinschorle.
Für den Nachmittag verabreden sie sich dann zu einer Wanderung auf den Burgberg hinauf. Frische Luft ist schließlich die beste Medizin gegen diese Frühjahrskrankheit.

Später beim Mittagessen erzählt er seiner Frau Annemie von den Freunden, diesen Schlappschwänzen, die sich vom Frühling außer Gefecht setzen lassen.
Er lacht und findet es sehr komisch.
Annemie lacht auch. Aber nicht aus dem gleichen Grund wie Wilhelm.
Nein, sie lacht, weil ihr guter starker Mann seit Tagen nach dem Mittagessen im Sessel einschläft. Den ganzen Nachmittag würde er durchschlafen, wenn sie ihn nicht zur Kaffeezeit aufweckte.
Aber dies zugeben? Nein, das würde er nie.
Und insgeheim freut sie sich darauf, dass Ferdinand und Hans ihn nachher zum Wandern abholen würden. Was ihr tapferer frühlingsmüder Wilhelm wohl sagen wird, wenn sie ihn aus seinem Mittagsschlaf reißen?

© Elke Bräunling


Frühlingsanfang, Bildquelle © fotoblend/pixabay