Das Schöne am Nebel

Herbstgeschichte für Senioren zum Vorlesen – Nebeltage sind kein Grund, verdrießlich zu sein

„Wenn sich der Nebel verzieht, könnte dies heute ein herrlicher Spätherbsttag werden“, sagte Opa Maus und deutete mit dem Gehstock in den Nebel. „Ein goldener.“
„Und wenn der Nebel wie gestern, vorgestern und die Tage zuvor zäh über der Stadt liegen bleibt, werden wir auch heute schlechte Laune haben“, antwortete Opa Plüsch.
Opa Maus’ Name war natürlich ein anderer, denn wer hieß schon so? Aber es passte gut. Wenn die beiden ihren täglichen Gang durch die Siedlung machten, um später zum Mittagessen im Sportplatzstübchen einzukehren und den Nachmittag dann auf der Bank unter der alten Linde oder an Schlechtwettertagen im Café Meyer zu verbringen, sagten die Leute oft „Die Opas ‚Plüschmaus’ sind unterwegs.“ Sie lächelten dabei. Es klang lieb und Opa Maus, der eigentlich Mausmann hieß, und Opa Plüsch lächelten auch. Dieses ‚Plüschmaus‘ passte einfach zu gut zu den beiden gutmütigen, feinfühligen, stets gut gelaunten Herren.
Heute allerdings hing der Gutelaunepegel etwas schief. Das war kein Wunder. Fast alle Leute fühlten sich nicht gerade sehr fröhlich in diesem grauen Herbst, den sie auch den Nebelherbst nannten.
„Das sagst du jeden Tag“, sagte Opa Maus nun. „Auf diese Weise vertreibt dein Denken diese Nebelsuppe nie.“
„Und du versprichst uns jeden Tag aufs Neue sonnig goldene Tage“, knurrte Opa Plüsch. „Und was ist? Nichts ist. Wieder wandern wir durch dieses Wolkengrau.“
„Das Grau kann auch bunt sein.“ Opa Maus war heute wieder bester Dinge und dazu gehörte, das weniger Schöne nicht gelten zu lassen und es in ein Hoffnungsschön umzuwandeln.
„Sieh nur!“, sagte er und deutete auf die rot gefärbten Blätter des wilden Weins, die die Kirchmauer schmückten. „Diese kraftvoll leuchten die Blätter im hellen Silbergrau des Tages. Was für ein Kunstwerk! Die Herbstspinnen schmücken es mit ihren Netzen. Sind sie nicht wunderschön mit all den Nebeltautröpfchen? Sie erinnern mich an den Perlenschmuck, den meine Großmutter an Festtagen getragen hat. Was war das immer für ei…“
Opa Plüsch winkte ab. „Ja! Ja! Ja! Ich habe es verstanden. Der Nebel ist schön. Wunderschön! Er schmückt unseren Tag und wir beide haben uns wie immer lieb.“
„Genau!“ Opa Maus lachte. „Und während wir auf die Sonne warten, könnten wir uns im Café eine Stück Kuchen gönnen. Man muss die Feste feiern, wie sie fallen.“
Opa Plüsch musste grinsen. „Einverstanden. Einen bunten Obstkuchen mit einer doppelten Portion Sahne. Dazu ein schwarzer Kaffee und …“ Sein Grinsen erreichte nun auch die Augen. „Und einen kleinen Cognac.“
„Einverstanden! Sehr einverstanden!“
Und mit heiteren Mienen spazierten Opa Maus und Opa Plüsch durchs Städtchen. Zum Café Meyer. Es war wie immer. Nur der Nebel, der könnte nun wirklich endlich das Weite suchen.

© Elke Bräunling


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Nebeltag, Bildquelle © distelAPPArath/pixabay

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