Ein Dank an den Tag

Ein Dank an den Tag

Kleine Dankgeschichte im Herbst

Titel + illustration Alte Dame sitzt mit Hund in der Morgensonne, eine Tasse dampfenden Tee in der Hand„Danke, dass ich all dies sehen und fühlen darf.“

Ein stiller Herbstmorgen, eine alte Hündin, goldene Blätter – und ganz viel Dankbarkeit: Diese Geschichte lädt zum Innehalten und Fühlen ein.
Dazu zwei kürzere Fassungen in einfacher Sprache sowie eine Fragerunde als Arbeitsanleitung

 

 

Ein Dank an den Tag

Viel zu schnell ist es Herbst geworden. Morgens ist die Luft kühl und manchmal liegt ein zarter Nebelschleier über dem Garten. Das Laub der Birke schimmert immer mehr golden und wenn der Wind durch ihre Zweige streicht, tanzen erste Blätter wie kleine Sonnenlichter durch die Luft.
Gertrud sitzt auf der Bank und hält eine dampfende Tasse Tee in den Händen. Wie gebannt schaut sie auf die Bilder, die die kleinen Dampfwölkchen in die Luft malen.
Es ist still so früh am Morgen. Nur eine nimmermüde Amsel singt irgendwo in der Hecke ihr spätes Lied.
Gertrud atmet tief durch. Sie liebt diese Stunde zwischen Nacht und Tag.
Neben ihr liegt ihre alte Hündin Emma. Ihr Fell ist grau geworden um die Schnauze. Sie schläft, und ihre Pfoten zucken, als renne sie übers Feld einem Hasen hinterher.
Zärtlich streichelt Gertrud über Emmas Rücken.
„Danke“, sagt sie leise. „Danke, dass du bei mir bist, Emma. Immer bist du da, egal, ob ich traurig oder fröhlich bin. Du wartest geduldig am Zaun auf mich, wenn ich alleine unterwegs bin, und du begrüßt mich voller Freude bei meiner Heimkehr. Du bist mein Stück Zuhause.“
Emma öffnet einen Moment lang die Augen. Sie sieht Gertrud an, gähnt und legt dann den Kopf wieder auf ihre Füße.
Gertrud blickt über den Gartenbeete zu den Obsthecken hinüber. Gut getragen haben sie dieses Jahr wieder und die Ernten haben ihr Freude gemacht.
„Danke“, flüstert sie. „Ich danke diesem Leben, das mir so viele Jahre geschenkt hat. Danke an die Natur, die mich immer begleitet. An den Wind, der mich im Frühling wach küsst, und an den Sommer, der mir so viel Freude bringt. Ich danke dem Herbst, der mich mit Früchten und Farben verwöhnt, und dem Winter, weil er mich still werden lässt.“
Gertrud lächelt. Das Leben hat es gut mit ihr gemeint und das macht sie froh und dankbar.
Sie denkt auch an die Menschen, die ihr nahe sind.
„Danke auch an meine Familie“, murmelt sie. „Danke für jedes Lachen, jede Umarmung, für jeden Besuch und jedes liebe Wort. Es tut so gut zu wissen, dass jemand an mich denkt und für den ich wichtig bin.“
Ein goldgelbes Blatt segelt von der Birke herab und landet auf ihrem Schoß.
Sie nimmt es in die Hand und betrachtet die feinen Blattadern. Ein kleines Kunstwerk für sich.
„Danke“, sagt sie wieder. „Danke, dass ich all dies sehen und fühlen darf.“
Emma hebt wieder den Kopf. Ihre Augen glänzen.
„Komm, alte Freundin“, flüstert Gertrud ihr zu. „Lass uns frühstücken!“
Sie legt das Blatt vorsichtig auf die Bank und steht auf, gefolgt von der Hündin, die nun begeistert mit der Rute wedelt. ‚Frühstück‘ ist ein gutes Wort.
Ein warmer Sonnenstrahl begleitet Gertrud auf ihrem Weg zur Tür. Sanft wie eine Umarmung legt er sich auf ihre Schultern.
„Danke!“, sagt sie leise. „Dankeschön!“

© Elke Bräunling

 

illustration Alte Dame sitzt mit Hund in der Morgensonne, eine Tasse dampfenden Tee in der Hand
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