Mondnacht der Erinnerungen

Besinnliche Erzählung – Die Macht der Erinnerungen in Mondnächten

Es war eine jener Nächte, in der der Mond den vielen Schatten der Dunkelheit Einhalt gebot. Silberhell und tröstend lag ein Lichtschimmer über den Dächern der kleinen Stadt. Bald würde Vollmond sein. In den Straßen war Ruhe eingekehrt, doch hinter vielen Fenstern brannte noch Licht. In Nächten wie diesen ging man ungern zu Bett. Nur schwer wollte der Schlaf gefunden werden. Der Mond lockte zu sehr. Die Kühle, die der Nordostwind ins Land geweht hatte, verbot es jedoch, sich im Freien aufzuhalten. Vielleicht würde es wieder Frost geben, nicht der erste in diesem Frühjahr. Es war, als wolle er sich in die Stille dieser Mondnacht schleichen, jene Stille, die lauter sein konnte als die Stimmen und Geräusche des Alltags. Viel wusste sie zu erzählen, viel zu belauschen. Nicht immer. Es musste passen.
Heute passte es, denn es war einer jener guten Tage gewesen. Für den Tag und für die Frau, die am Fenster stand und die Sehnsucht für heute genoss. Diese Sehnsucht nach jener anderen Welt, die sie nicht als solche benennen konnte. Sie war schon immer da gewesen. Sie trug sie als Erbe in sich.
In jenen hellen Nordostwindnächten lagen Gedanken an frühere Zeiten besonders dicht an der Oberfläche des Nichtvergessens.
„Es liegt etwas in der Luft“, murmelte sie.
Sie summte die Anfangsphrase des gleichnamigen Songs und löste sich vom Fenster. Lange hatte sie hier gestanden und den Gedanken ihren Lauf gelassen. Nun aber war ihr Kopf so voll, dass sie fürchtete, all das Gedachte und Erinnerte wieder zu verlieren.
Dieses Vergessen durfte sie nicht zulassen. Jede noch so kleine Erinnerung war ihr kostbarer als alles, was man mit Geld kaufen konnte. Nur so nämlich konnte sie sich und ihren Lieben die Geschichte ihre Lebens nacherzählen. All das, was das Dunkel des Traumas noch nicht ganz auszulöschen vermocht hatte. In Nächten wie diesen kam es zurück in vielen kleinen Sequenzen. Gedankenschnipsel bloß, die aneinander gefügt von Nacht zu Nacht mehr ein harmonisches Ganzes ergaben. Eine Einheit. Ein Leben. ihr Leben.
Sie lächelte und ging zum Schreibtisch. Es war Zeit, wieder etwas in ihr Buch der Erinnerungen, das andere Tagebuch nannten, zu schreiben.

© Elke Bräunling

Mondnacht, Bildquelle © prettysleepy/pixabay

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