Die bunte Gartenjacke

Geschichte von einem neuen Lebensabschnitt – Endlich ist Zeit für den Garten

„Endlich! Die Gartenzeit beginnt. Ach, was bin ich froh!“
Ganz rot waren Regines Wangen. Rot vor Freude.
Diese Frühlingssonnenstrahlen lockten so sehr. Sie wärmten auch wieder.
„Wie hell die Sonne das Leben doch macht. Hell und warm“, murmelte sie. „Endlich kommt wieder frische Luft an die Haut. Ach, was bin ich froh!“
Und wie als Antwort hörte sie jemanden in den Gärten singen.
„Froh zu sein, bedarf es wenig und wer froh ist, ist ein König.“
Es waren mehrere Stimmen, die zu mehreren Sängern gehörten.
„Passt!“, sagte Regine. „Ein froher Tag allseits. Wie gut das tut! Der Winter war lange genug.“
Sie schlüpfte in ihre bunte Gartenjacke, die dunkelblaue mit den vielen roten, gelben, hellblauen, weißen und rosafarbenen aufgestickten Blümchen. Es war die fröhliche Gartenjacke. Die weniger fröhliche war grün. Schlicht dunkelgrün mit braunen Lederflecken an den Ellbogen. Sie gehörte Christoph, ihrem Mann. Der war im letzten Herbst von einer seiner Urlaubsreisen nicht zurückgekehrt und lebte nun auf der Insel La Goméra. Wie damals zu Hippiezeiten trug er die Haare – und den Bart – wieder lang. Zu den bunten Perlenketten und den Lederarmbändchen passte diese Gartenjacke, die einmal seine Lieblingsjacke gewesen war, nicht mehr. Christoph trug jetzt weite, lange beigefarbene Malerhemden mit Farbklecksern und Flicken, um wie ein Künstler auszusehen wie all die anderen, die dort auf der Insel gestrandet waren. Gartenjacken passten nun ebenso wenig zu ihm wie seine Frau Regine, mit der er fast vierzig Jahre verheiratet war. Und er passte nicht mehr zu ihr.
Sie lebte auch nicht so, wie man sich üblicherweise Damen in ihren Alter kurz nach der Rente vorstellte. Sie fühlte und dachte nicht so und sie sah auch nicht so aus. Aber auch wenn sie nach außen so stark und in sich ruhend wirkte, hatte dieser erste Winter ohne Christoph Kraft gekostet. Mit einem erzwungenen Lächeln nach außen hin. Keiner sollte sehen, wie elend sie sich manchmal fühlte. Es fiel nicht leicht, all die Dinge, die man im Leben bisher gemeinsam bewältigt und geschaffen hatte, nun alleine zu tun. Auch der Garten gehörte dazu. Nie hatte sie einen Garten alleine gepflegt und schon gar nicht nach ihren Wünschen geplant. Für alles gab es nun ein erstes Mal.
Regine atmete tief durch.
Ein bisschen streifte sie ein Hauch der Furcht, so unbefangen wie früher die Tür zu öffnen, hinaus zu gehen und der Nachbarschaft ein fröhlich klingendes „Hallo!“ zuzurufen. Es war schließlich das erste Frühjahr, das sie nach einem ersten Winter als ‚Verlassene Frau’ begrüßte. Alles, was man zum ersten Mal nun tun musste, war ein neues erstes Mal und fiel schwer.
Sie merkte, wie ihr Herz schneller schlug und wie weich sich die Knie anfühlten. Die Geister der Angst wollten ihr das Leben, wie so oft im letzten halben Jahr, gerade wieder etwas schwerer machen?
„Nein. Das kommt gar nicht in Frage“, schimpfte sie mit sich selbst und gegen die Furcht. Sie griff nach der Türklinke und atmete noch einmal tief durch, dann öffnete sie die Tür.
„Froh zu sein, bedarf es wenig und wer froh ist, ist ein König.“
Laut hallte ihr das Lied entgegen. Na bitte!
Regine lächelte und dieses Mal schmerzte es nicht im Nacken, dieses Lächeln. Dieses Mal war es echt.
Sie würde diesen Garten weiter pflegen und verschönern. Ein Schmuckstück sollte er sein und ganz so, wie sie ihn für sich selbst wünschte. Schön und bunt und voller Harmonie. Wie ihre Gartenjacke. Und da war keiner mehr, der ihr dreinreden konnte. Sie alleine hatte das Sagen nun. Ein gutes Gefühl. Ein frohes.
Und leise summte auch sie das kleine Liedchen, während sie lächelnd und mit weiten Schritten über die Terrasse zu den Gartenbeeten hinüber schritt.
„Froh zu sein, bedarf es wenig und wer froh ist, ist ein König.“

© Elke Bräunling


Frühlingsgarten, Bildquelle © Antranias/pixabay

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