Das, was bleibt
Emotionale Erzählung zu Mozarts Maienlied – In Erinnerungen gibt es keine Endgültigkeit
Von irgendwoher spielte jemand Klavier. Es war ein Frühlingslied. Das Lied vom Mai.
„Komm, lieber Mai, und mache die Bäume wieder grün und lass auch an dem Bache die kleinen Veilchen blühn …“
Eine zart klingende Frauenstimme versuchte, den Text zur Melodie zu singen.
„Komm, lieber Mai, und mache.“
Schön klang es. Hoffnungsvoll. Und auch ein wenig traurig.
Sabine Weiße saß mit ihrer Freundin Sarah Steiner auf dem Balkon und lauschte der Musik. Leise und voller Sehnsucht. Jener Sehnsucht, die manche Lieder hervorzurufen vermochten.
„Was für ein trauriges Lied!“, murmelte Sabine schließlich.
Sie stand auf und holte die Kanne mit dem frischen Kaffee aus der Küche.
„Ich muss immer weinen, wenn ich es höre“, gestand sie dann, während sie den Kaffee in die Tassen eingoss. „Noch ein Stück Kuchen, Sarah?“
„Sehr gerne. Dein Rharbarberkuchen schmeckt wieder vorzüglich.“
Sarah nickte. Es war immer wieder ein Genuss, die alte Freundin Sabine zu Kaffee und Kuchen zu besuchen. Sie war eine der besten Kuchenbäckerinnen. Und sie war so herrlich sentimental. Wie auch jetzt wieder. Niedlich, diese Tränen wegen eines einfachen Liedes. War es nicht ein Geschenk, dass es noch feinfühlige Menschen gab, die trotz des stressigen Alltags eines Liedes wegen fähig waren, Tränen zu vergießen? Sarah kannte nur wenige jener besonderen Menschen. Ihre Freundin Sabine gehörte dazu.
„Aber sag, was macht dich gerade so traurig? Dieses Mozartlied ist ein feines, kleines, ja, auch heiteres Maienlied.“
Sabine schluchzte auf. „Die Melodie“, sagte sie leise. „Sie berührt mein Herz so sehr und schmerzt zugleich.“
„Ein Frühlingslied, das schmerzt?“ Sarah verstand die Freundin nicht. „Ist es nicht der Frühling, der Hoffnung gibt? Die Hoffnung, dass es immer weiter geht im Leben?“
Da schluchzte Sabine wieder auf. Lauter nun und herzerweichender. „Es ist wegen Mozart. Weil er so zauberzart schöne Melodien komponierte und weil er so früh sterben musste. Stell dir nur vor, was er noch alles hätte schaffen können, wäre ihm das Schicksal milder gestimmt gewesen.“
Sarah nickte. Sie verstand. „Du hast recht. Mozart war ein Genie und er hat uns viele wunderbare Geschenke hinterlassen.“
„Dieses Lied war das Lieblingslied meiner Großmama“, gestand Sabine. „Sie weinte auch immer, wenn wir es uns anhörten. Und wenn ich es nun höre, denke ich auch an Großmamas Schmerz. Er weint weiter in mir. Und das ist gut so.“ Sie lächelte nun.
Sarah verstand. „Es sind die kleinen Dinge, die erinnern. An die Menschen, die wir geliebt haben, und an das, was von ihnen bleibt“, sagte sie.
Wieder nickte Sabine. „Dieses Lied zum Beispiel. Es wird immer bleiben und erinnern. An Oma und an eine große Trauer um ein junges Musikerleben. Wie froh bin ich, dass manche Menschen mit ihrer Kunst und ihren Taten die Erinnerungen weiter tragen.“ Sie machte eine Pause, atmete tief durch, lächelte. „Möchtest du noch ein Likörchen zum Kuchen? Eierlikör. Selbst gemacht.“
„Gerne. Sehr gerne.“ Sarah lächelte. „Auch du wirst einmal in den Erinnerungen vieler Menschen weiter leben, liebe Freundin. Dafür werden alleine schon die Rezepte deiner Backkunstwerke sorgen.
Sabine lachte auf. „Ja, so sind wir, der Mozart und ich. Man vergisst uns nicht so leicht.“
Dann lauschten sie wieder dem Gesang, der, lauter nun und zuversichtlicher im Klang, über die Gärten zu ihnen herüber hallte und die heitere Maienzeit pries.
„Komm, lieber Mai, und mache die Bäume wieder grün und lass mir an dem Bache die kleinen Veilchen blühn! Wie möchte ich doch so gerne ein Veilchen wieder sehn, ach, lieber Mai, wie gerne einmal spazieren gehn!“
© Elke Bräunling
* Text: Christian Adolf Overbeck Musik: Wolfgang Amadeus Mozart
Erinnerungen an Mozart, Bildquelle © Hans/pixabay