Ein Spaziergang im Schnee
Ein Spaziergang im Schnee
Vorlesegeschichte mit einfacher Struktur für an Demenz erkrankte Menschen
Der Schnee lag hoch und weiß, und alles war still. Die Sonne schien. Ihre Strahlen verzauberten die weiße Schneewelt in ein freundliches Winterland und luden zu einem Spaziergang ein.
Anna hielt es nicht länger in ihrem Haus. Sie zog Mantel und warme Stiefel an, band einen dicken, weichen Wollschal um den Hals und setzte ihre Mütze auf. Dann steckte sie eine Handvoll Sonnenblumenkerne und Brotreste in ihre Manteltasche und trat hinaus in die frische Winterluft.
Sie ging den vertrauten Weg hinüber zum Wäldchen. Hier war der Schnee noch unberührt. Er knirschte bei jedem Schritt unter ihren Füßen. Die Bäume trugen schwer an der Last des vielen Schnees. Alles ringsum glitzerte wie verzaubert.
„Wie oft bin ich diesen Weg schon gegangen“, murmelte Anna.
Sie blieb stehen und atmete die herrliche Luft tief ein. Sie duftete frisch und klar nach Winter. Es war wie früher.
Als Kind war Anna hier oft mit ihrer Freundin Grete unterwegs gewesen. Sie hatten Schneemänner gebaut und Schneeballschlachten gemacht, bis ihre Hände steif vor Kälte waren. Großen Spaß hatten diese Stunden im Schnee gemacht.
Anna lächelte bei diesen Erinnerungen an ihre glückliche Kindheit.
Plötzlich hörte sie ein Zwitschern. Auf einem Ast saß ein Rotkehlchen und blickte sie an.
„Hallo, Kleines! Wartest du auf mich?“, flüsterte Anna dem Vögelchen zu.
Sie griff in ihre Tasche und streute ein paar Sonnenblumenkerne auf den schneefreien Boden am Fuß einer Tanne. Sogleich flatterte der kleine Vogel hinunter und pickte eifrig die Körner auf.
Anna freute sich und sie ging weiter zum kleinen Weiher hinüber. Dort saßen Enten am Ufer. Sie hatten ihre Schnäbel tief ins Gefieder gesteckt. Ob sie schliefen?
Anna trat näher, die Enten hoben ihre Köpfe und begannen laut zu schnattern.
„Ich habe euch etwas mitgebracht!“, rief sie ihnen zu und warf ihnen die Brotreste zu.
Lange blieb sie stehen und sah den Enten zu, wie sie ihren Hunger stillten.
Es tat ihr gut, für die Tiere zu sorgen.
„Man braucht jemanden im Leben, für den man sorgen kann“, erzählte sie den Enten. Dann verabschiedete sie sich und machte sich auf den Heimweg.
Sie kam zu der Bank, auf der sie oft im Sommer saß. Heute war diese tief verschneit. Anna lächelte und griff in den frischen Schnee. Flink formte sie eine kleine Schneefigur und setzte sie auf die Bank. Eine kleine Schneefrau saß nun da. Sie trug als Schal Annas rosafarbenes Taschentuch und als Hut ein Stück Baumrinde.
Lieb sah sie aus.
Anna betrachtete zufrieden ihr Werk und lächelte. Sie spürte, wie ihre Wangen glühten. Vor Freude und vor Kälte.
„Ja, es ist wie früher!“, erzählte sie der kleinen Schneefrau.
Dann ging sie langsam nach Hause im Licht der untergehenden Sonne.
Manchmal, dachte sie, reicht ein Spaziergang im Schnee, um sich wieder jung zu fühlen.
© Elke Bräunling
Schneefrau, Bildquelle © fotos1992/pixabay