Herbstbeginn mit einem Plumps: Die erste Kastanie
Herbstbeginn mit einem Plumps: Die erste Kastanie
Geschichte zum Beginn des Herbstes
Kastanien als erste Herbstboten. …. Ist denn schon wieder Herbst?
„Stachlig im Fall, warm im Herzen: die erste Kastanie des Jahres.“
Eine Kastanie fällt vom Baum und ein Lächeln kehrt zurück: Justus erlebt einen stacheligen, warmherzigen Herbstbeginn. Eine Geschichte über kleine Rituale, Freundlichkeit und Erinnerungen.
Mit zwei Fassungen in einfacher Sprache und Arbeitsanleitungen/Fragerunde.
Herbstbeginn mit einem Plumps: Die erste Kastanie
„Aua, das tat weh!“ Justus hielt sich den Kopf. Wie hätte er ahnen sollen, dass es so gefährlich ist, unter einem Kastanienbaum spazieren zu gehen? Mitten auf seinen Kopf war dieses kleine Stachelding gefallen. Er bückte sich und hob den Übeltäter auf. Er lag inmitten vieler weiterer glänzender Früchte.
“Oh!“ Verwundert blickte Justus auf die Kastanienfrucht. „Ist es denn schon wieder soweit? Haben wir Herbst?“
Wenn man ihn fragte, so hatte der Sommer gerade begonnen. Jedenfalls fühlte er sich noch sehr sommerlich, denn er war ein ‚Sommerkind‘. Aber die Kastanien, die liebte er auch. Er packte sich die Hosentaschen voll und nahm sie mit nach Hause. Die Kastanie aber, die ihm auf den Kopf gefallen war, behielt er in der Hand. Sie war für einen ganz besonderen Menschen bestimmt. Jede erste Kastanie im Jahr brachte er ebenso zu ihr wie jede erste Erdbeere, jede Kirsche, Rose, Tulpe, Fliederblüte und überhaupt von allem, was die Natur ihm schenkte. Das Erste davon gehörte immer ihr und so sollte es auch bleiben.
Doch zunächst musste er nach Hause gehen, denn so konnte er sie nicht besuchen. Mit ausgebeulten Hosentaschen und schmutzigen Händen wollte er nicht bei ihr erscheinen.
Justus blickte auf die Uhr. Es war kurz vor drei, also genug Zeit für diesen Umweg. Er bedankte sich bei der Kastanie für ihre Früchte und trat den Heimweg an.
„Na Opa, sprichst du schon mit den Bäumen?“, fragte da ein Junge, der nebenan auf der Parkwiese mit seinen Freunden Fußball spielte. „Hast du wohl sonst niemanden, mit dem du reden kannst!“
Die Kinder lachten. Justus nahm es ihnen nicht übel, auch wenn er sich nicht damit anfreunden konnte, dass sie ihn Opa nannten. Er war nicht ihr Opa und jemanden in seinem Alter einfach zu duzen, das fand er ein wenig respektlos. Er grüßte kurz und ging an ihnen vorbei.
Ein Kind, das etwas außerhalb der Gruppe gestanden hatte, kam auf ihn zu.
„Sie haben sich verletzt, da ist Blut an Ihrer Stirn!“, sagte der Junge.
„Ach, das macht nichts“, antwortete er mit einem flüchtigen Lächeln. „Es tut nicht weh. Es … Es hat mich aufgeweckt. Ich danke dir für deine Aufmerksamkeit.“
Der Junge nickte und deutete zu seinen Freunden hinüber.
„Sie meinen es nicht so. Manchmal sind sie richtige Angeber, aber dennoch sind sie nett“, sagte er schnell und rannte davon.
Lächelnd sah ihm Justus nach. „Wie schön, dass es Kinder wie diesen klugen, mutigen Jungen gibt“, dachte er und setzte seinen Weg fort.
Zu Hause leerte er seine Hosentaschen aus und legte die Kastanie, die er mitnehmen wollte, neben seinen Schlüssel auf den Dielenschrank. Im Bad versorgte er seine Wunde, wusch sich das Gesicht und brachte seine immer noch welligen Haare in Form.
Er lächelte sein Spiegelbild an und war zufrieden mit dem, was er sah: einen Mann mit Lachfältchen, schlohweißem Haar und dem Ritterschlag einer Kastanie.
© Elke Bräunling
Zwei Kurzfassungen
Die erste Kastanie
Gekürzte Erzählung in einfacher Sprache
Es ist Anfang Herbst.
Justus geht durch den Park. Unter einem Kastanienbaum bleibt er stehen.
Plötzlich fällt eine stachelige Hülle herunter. Plumps!
Eine Kastanie trifft seinen Kopf. Es schmerzt ein bisschen.
Auf dem Boden liegen viele glänzende Kastanien.
Justus bückt sich. Er sammelt eine nach der anderen auf.
Seine Hosentaschen werden voll.
Eine Kastanie behält er in der Hand. Sie ist die erste in diesem Jahr.
Diese erste Kastanie wird er einem besonderen Menschen bringen.
So macht er es jedes Jahr.
Einige Jungen spielen Fußball.
„Na, Opa!“, rufen sie und lachen.
Das mag Justus nicht. Er ist nicht ihr Opa.
Er will von Fremden auch nicht so genannt werden. Das ist respektlos.
Aber er wird nicht böse.
Langsam setzt er seinen Weg fort.
Ein anderer Junge kommt näher.
„Da ist Blut an Ihrer Stirn“, sagt er freundlich.
Justus lächelt. „Danke. Es ist nicht schlimm.“
Der Junge nickt und läuft zurück zu den anderen.
Justus sieht auf die Uhr: fast drei.
Er hat genug Zeit, kurz nach Hause zu gehen.
Zu Hause kippt er die Kastanien auf den Tisch.
Die besondere Kastanie legt er neben seinen Schlüssel.
Im Bad wäscht er sein Gesicht.
Er tupft die kleine Stelle an der Stirn ab.
Er kämmt die Haare und atmet tief durch.
Im Spiegel sieht er weiße Haare und Lachfältchen.
Er lächelt. Der Tag fühlt sich gut an.
Gleich wird er sich wieder auf den Weg machen.
Die erste Kastanie wartet.
Und der liebe Mensch, dem er sie bringen will, wartet bestimmt auch.
© Elke Bräunling
Die erste Kastanie
Sehr gekürzte Fassung und einfacher Sprache
Es ist Anfang Herbst.
Justus geht im Park spazieren.
Unter einem Kastanienbaum spazieren.
Plötzlich fällt eine Kastanie auf seinen Kopf. Es tut kurz weh.
Auf dem Boden liegen viele glänzende Kastanien.
Justus sammelt sie ein. Seine Hosentaschen werden voll.
Eine Kastanie hält er in der Hand.
Die erste Kastanie im Jahr bringt er immer einem besonderen Menschen.
Ein paar Jungen spielen Fußball.
Sie rufen: „Na, Opa?“
Das mag Justus nicht. Er ist alt, aber nicht ihr Opa.
Ein anderer Junge kommt näher und sagt freundlich:
„Da ist Blut an Ihrer Stirn.“
Justus lächelt: „Danke. Es ist nicht schlimm.“
Zu Hause kippt Justus die Kastanien auf den Tisch.
Er legt die besondere Kastanie neben seinen Schlüssel.
Im Bad wäscht er sich, klebt die kleine Stelle ab und kämmt die Haare.
Er sieht in den Spiegel und lächelt.
„So ist es gut“, denkt er und macht sich bereit für den Besuch.
© Elke Bräunling
Arbeitsanregungen
Anregungen für die Praxisarbeit und Frage zu dieser Geschichte: „Die erste Kastanie“ – mit Varianten für gemischte Gruppen und Demenzgruppen, inkl. Lösungen.
Fragerunden & Arbeitsanregungen zu „Die erste Kastanie“
Einstieg (Aufwärmen)
– Welche Jahreszeit beginnt im Text?
– Wo ist Justus unterwegs?
– Was fällt ihm auf den Kopf?
Verständnisfragen (offen)
– Was sammelt Justus ein?
– Warum behält er eine Kastanie in der Hand?
– Wie reagieren die Jungen im Park unterschiedlich?
– Was macht Justus zu Hause, bevor er losgeht?
– Wie beschreibt der Text Justus’ Aussehen?
Gesprächs- & Erinnerungsimpulse (Biografiearbeit)
– Erste Male: „Wem haben Sie früher ‚das erste Fundstück im Jahr’ gebracht? (Kastanie, Kirsche, Erdbeere, Rose für …??? )“
– Kastanienzeit: Welche Erinnerungen haben Sie an die Kastanienzeit früher?
(Basteln? Taschen voll? Spiele (Weitwurf, Murmelersatz)? Sammeln für das Wild?)
– Respekt & Umgangsformen: „Siezen/Duzen – wie war das früher? Was denken Sie heute darüber?“
– Kleine Freundlichkeiten: „Wer hat Sie zuletzt aufmerksam gemacht/unterstützt? Was haben sie dabei gefühlt?“
– Rituale im Herbst: „Was gehört für Sie zum Herbstanfang?“
Kleine Sinnesreise (1–2 Minuten)
„Stellen Sie sich den Park vor. Ein Baum, stachelige Hüllen fallen, ein Plumps. In der Hand liegt eine glatte, warme Kastanie. Sie spüren die runde Form, riechen feuchte Erde, hören Kinderstimmen. Ein freundlicher Junge sagt: ‚Da ist ein bisschen Blut.’ Ein Lächeln. Sie waschen sich, kämmen die Haare, sehen Lachfältchen im Spiegel. Die erste Kastanie wartet für einen lieben Menschen.“
Kastanie, wohl beschützt – Foto © verena-timtschenko/pixabay
Über Ihre Geschichten werden sich einige alte Menschen freuen, danke aus vollem Herzen!
Dankeschön, liebe Rosi. Worte wie diese bedeuten mir sehr viel. Sie machen Mut.
Liebe Grüße
Ele
Sehr geehrte Damen,
ich nutze ihre Seite schon seit einigen Jahren. Ich arbeite in der Betreuung/ Altenpflege, die Geschichten sind ganz toll, und kommen jede Woche aufs neue gut an, bei den von mir betreuten Damen und Herren .
vielen Dank und weiter so.
Dankeschön, lieber Heiko, das freut uns sehr. Wenn Sie oder die von Ihnen betreuten Damen und Herren andere, neue Themenvorschläge haben, so sagen Sie uns das gerne. Vielleicht finden wir dann neue Geschichten dazu.
Liebe Grüße
Elke