Alle Jahre wieder

Fröhliche Weihnachtsgeschichte für Groß und Klein – Wie Papa viele Wochen für Weihnachten arbeitet

“Ach, ich freue mich schon auf Weihnachten”, sagte Papa, als wir am zweiten Urlaubstag am Strand lagen und uns sonnten.
Mama heulte auf. “Erinnere mich bloß nicht daran! Lass uns bitte unseren Urlaub genießen, ja?”
Papa lächelte versonnen. “Weihnachten ist eben doch die schönste Zeit im Jahr.”
“Besonders für eine Kantorenfamilie”, seufzte Mama.
Ich musste lachen. Mama hatte recht. Weihnachten war alle Jahre wieder eine Katastrophe, und das Schlimmste war: Der ganze Rummel fing bei uns bereits in den Sommerferien an.
“Dieses Jahr”, murmelte Papa und starrte aufs Meer, “habe ich ganz tolle Ideen. Ein neues Stück werde ich schreiben. Für den Kinderchor. Für die Kids vom Jugendchor muss auch etwas Neues her. Ja, und der Singkreis, und…!”
Alles klar: Die Weihnachtszeit hatte begonnen. Schon bald saß Papa mit Papier, Bleistift und einer mit Algen verzierten Kerze am Strand, arbeitete und las oder summte uns irgendwelche stimmungsvolle Texte und Melodien vor, die so gar nicht zu Sommer, Sonne und Meer passten. Also machten wir uns aus dem Staub und genossen unseren Urlaub alleine mit Baden, Sonnen, Felsenklettern, Bummeln, und anderen Dingen, während Papa im ´Weihnachtsland´ weilte.
“Ihr werdet staunen”, erklärte er uns auf der Heimfahrt. “Ich habe eine Menge Ideen gesammelt. Weihnachten wird ein besonderes Erlebnis werden.”
Das wurde es dann auch: Gleich nach unserer Rückkehr arbeitete Papa seine Ideen am Klavier aus. Liebliche Klänge hallten so weihnachtlich durch Haus und Garten, dass unsere Nachbarn die Augen verdrehten und das Weite suchten. Gleich nach Erntedank dann begannen die Proben. Papa probte ein Krippenspiel mit dem Minichor, ein Weihnachtsmärchen mit dem Kinderchor, ein kritisches Stück mit dem Jugendchor, poppige Weihnachtssongs mit der Kirchenband, ein Oratorium mit Singkreis und Orchester undundund…!
So verging der Herbst, und Mama sagte manchmal, ihr purzelten schon Weihnachtsglöckchen aus den Ohren.
“Was wollt ihr?”, meinte Papa. “Klappt alles wunderbar!” Dann bat er Mama, Kostüme zu nähen, obwohl er genau weiß, dass Mama mit Nähen nichts am Hut hat. Also verbrachte er, wenn er nicht gerade mit irgendwem irgendwas für Weihnachten probte, viel Zeit in der Bastelgruppe des Seniorenheims und verteilte Aufträge für Kostüme, Requisiten, Bühnenbilder und all den Kram. Er nervte die alten Herrschaften so sehr, dass einige bestimmt ein Kreuz schlugen und “Danke, oh Herr”, sagten, wenn Papa wieder von dannen eilte.
Der November zog ins Land, und Papas freudiges Weihnachtslächeln verwandelte sich allmählich in ein gramgebeugtes Grinsen, und seinem Munde entwichen jämmerliche Töne wie: “Die Zeit ist zu knapp!” oder “Heute hat wieder die Hälfte vom Minichor geschwänzt” oder “Der Sopran schafft seine Partie nicht” oder “Wo kriege ich einen Bachtrompeter her?“ undsoweiterundso…! Je näher die Adventszeit rückte, desto unweihnachtlicher tönten die Flüche aus Papas Mund.
Dann war es soweit. Der Advent kam, und Papa ging: zu Proben und Singstunden, zu Adventsnachmittagen und -feiern, zu Krippenspielen und Chorgesängen, zu Serenaden und Weihnachtsmarktsingen, zu Kerzenlichtfeiern und Krankenhausgesängen, zu Orgelnachmittagen und offenen Singabenden, zu …ach, ich weiß nicht mehr, wohin noch alles.
Uns schien er vergessen zu haben. Ob er dieses Mal an die Geschenke dachte? Im letzten Jahr lagen die nämlich an Heiligabend einsam und vergessen im Kaufhaus, wo Papa sie bereits im Sommer vorsorglich hatte zurücklegen lassen. Wir waren gespannt, wie er das mit den Geschenken dieses Jahr managte. Tja, ganz einfach: Am 24ten stand Papa plötzlich beim Frühstücken aufgeregt auf und jagte aus dem Haus.
Mama grinste mitleidslos. “Eben ist´s ihm eingefallen. Na, heute ist besonders viel los in der Stadt. Geschieht ihm recht, unserem Weihnachtsmann.”
In meinem Bauch begann es zu kribbeln. Ich wagte nicht, mir vorzustellen, was Papa in aller Eile zusammenkaufte.
“Hoffentlich vergisst er die Umtauschzettel nicht!“, sagte ich, doch Mama Blick ließ auch diesen Hoffnungsschimmer in mir verblassen.
Als Papa von seinem Einkauf-Horrortrip heimkam, lagen seine Nerven blank. “Nein, ich mag nichts essen”, knurrte er und telefonierte die Bande vom Minichor zusammen. “Wir müssen noch einmal für dass Krippenspiel proben. Mann, bin ich aufgeregt!” Schon stand er wieder an der Tür. “Vergesst nicht! Um 15.00 Uhr beginnt das Krippenspiel, der Jugendchor ist mit seinem Stück um 17.00 Uhr an der Reihe!”
“Und deine Eltern kommen um 16.00 Uhr”, fauchte Mama gereizt. “Es wäre nett, wenn du…”
Doch da hatte Papa schon das Weite gesucht. Erst abends, als wir mit Oma und Opa am festlich gedeckten Abendbrottisch saßen, sahen wir ihn wieder. Blass sah er aus, seine Hände zitterten.
“Du siehst aber schlecht aus, Junge”, meinte Oma und sah Mama vorwurfsvoll an. “Gibst du ihm nicht genug zu essen?”
Papa stierte Oma an. “Ich arbeite!“, knurrte er.
“An Heiligabend? Junge, das ist nicht recht!”
“Nun lasst uns erst einmal essen!“, sagte Mama besänftigend.
“Ich kriege keinen Bissen herunter“, stöhnte Papa. “Übel wird mir, wenn ich an die Christmesse denke. Die Sopranweiber schaffen mich noch! O, ich könnte…” Er zerknüllte seine Serviette, sprang auf und telefonierte die Damen aus dem Sopran zu einer Sonderprobe zusammen.
“Und die Bescherung?“, fragte ich. “Wann ist Bescherung?”
Bescherung? Also, dazu hatte Papa nun überhaupt keinen Bock. Wir sollten das doch verstehen, nicht? Er hockte sich ans Klavier und übte sein Orgelvorspiel, während wir stumm in das Christbaum-Kerzenlicht starrten.
Ein doofes Weihnachtsfest war das wieder! Oma war beleidigt, Opa motzte, und Mama goss sich ein Glas Rotwein nach dem anderen ein. Dann fing Oma auch noch an zu heulen. Schluchzend hielt sie Papa ein Päckchen vor die Nase. “Es ist doch Weihnachten!“, flehte sie und heulte noch mehr, weil Papa angewidert das Gesicht verzog, als er den Pullover mit dem aufgestickten Elch aus Omas Päckchen herausgerupft hatte. Oma weinte, Opa brummelte so etwas wie “Undankbarkeit”, und Mama kippte noch ein Glas Rotwein hinunter. Da machte sich Papa schnell zur Sopranprobe davon. Endlich gingen auch Oma und Opa, nachdem sie noch gründlich geschimpft hatten über Papa, der sich so ungezogen aufführte, und über Mama, weil sie Papa nicht im Griff hatte.
An diesem Abend sah ich Papa nicht mehr, und als ich am nächsten Morgen zum Frühstück kam, war er schon wieder fort. Zum Kinderchor-Weihnachtsmärchen im Gottesdienst! Irgendwann dann, als unsere Weihnachtsgans längst angebrannt und unansehnlich im Herd vor sich hin schmurgelte, kam Papa müde angeschwankt.
“Hat gut geklappt”, murmelte er und warf sich aufs Sofa. “Eine Minute nur, ja?“, bat er mit schwacher Stimme. “Dann komme ich sofort zum Essen.” Er machte einen tiefen Seufzer und brummte so etwas wie “Sch…-Weihnachten…!“, und dann -schwups- war er auch schon eingeschlafen.
Da lag er nun, unser Weihnachtspapa, auf dem Sofa neben dem Christbaum und all dem Weihnachtskrimskrams und schnarchte wie ein ganzes Rudel Wölfe. Wir wussten Bescheid. Bis zum Abendessen würde er selig schlafen und wunderschön träumen von Friede und Stille, von Gemütlichkeit und stimmungsvoller Musik – und von Weihnachten! Wie jedes Jahr. Wir kannten das ja schon.

© Elke Bräunling

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Alle Jahre wieder, Bildquelle © twstringer/pixabay

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