Im Dunkel der Nacht – und alles wird gut

Eine Geschichte zum Ende des Jahres und der Beginn von etwas Neuem

Es war eine jener Nächte zum Jahresende, in denen die Sterne besonders hell funkelten und der Mond einem zarten Silberball gleich das Dunkel ein bisschen heller machte, als eine Glocke im Turm der Peterskirche zu läuten begann. Es war das kleine Glöckchen, das nur an ganz besonderen Tagen über den Dächern der kleinen Stadt erklang.
Die, die noch wach waren und es hörten, hielten den Atem an und verhielten sich mucksmäuschenstill und die, die bereits schliefen, bekamen so etwas wie eine herzliche Umarmung in ihren Traum gesandt. Es war einer jener Momente, den man in die Arme schließen mochte und nie wieder vergessen wollte, und er schenkte ein Gefühl der Geborgenheit, das rar geworden war in dieser wilden Welt.
„Schlaft gut … und wacht auf!“, raunte da plötzlich eine Stimme im Rhythmus des Glockenklangs. „Strengt euren Verstand wieder an, denkt selber und vertraut nicht auf das, was andere euch sagen! Hört ihr, ihr Menschen? Vertraut wieder mehr auf euch selbst und eure Intuition. Nur ihr allein könnt euch nicht belügen. Denkt … wieder … selbst … und … hört … auf … eure … Gefühle. Sie sind das Sprachrohr eurer Seele. Hört ihr?“
Allüberall war dieses Raunen nun zu hören. Auch die Frau, die am Fenster stand und die Nacht umarmte, hatte es vernommen. Sie erschrak. Dann lächelte sie. Es war, als hätte die Stimme ihre Gedanken in die Nacht gerufen und das tröstete sie sehr. War sie also doch nicht allein und vor allem eins: Irrte sie doch nicht? Durfte sie auf ihr Bauchgefühl hören und vertrauen? Fast hätte sie die Hoffnung schon aufgegeben.
„Ja“, murmelte sie. „Das ist die Chance, aus dieser Misere wieder herauszukommen. Wir müssen wieder lernen, auf uns selbst zu vertrauen und nicht länger auf die Meinung anderer zu hören. Wie oft tun wir Dinge, die uns Bauchweh verursachen, weil sich irgendetwas in uns dagegen sträubt? Wir alle müssen unsere eigenen Eingebungen wieder zu schätzen lernen. Nur wie?“
Nur wie? Sie seufzte. Es war so viel einfacher, die Verantwortung abzugeben und zu tun, was andere vorschrieben. Ihr und allen anderen Menschen.
„Habt ihr es gehört?“, rief sie laut, als die Glocke verstummt war. „Keiner hat das Recht, anderen vorzuschreiben, was sie zu tun haben und was nicht. Keiner! Hört ihr? Nein, ihr schlaft schon. Ihr schlaft schon zu lange und hört nie zu. Auch das habt ihr verlernt.“ Tränen rannen über ihre Wangen.
Sie wollte gerade das Fenster schließen, als eine verfrühte einsame Silvesterrakete aus einem der engen Höfe emporschoss und himmelwärts glitt. Ein langsamer, den Moment auskostender Flug ins Dunkel. Er endete in funkelnden Lichtpunkten, die das Bild einer weißen Anemone an den Himmel malten.
Die Frau staunte.
„Eine Anemone! Blume der Hoffnung!“, flüsterte sie und ein tröstendes Gefühl durchflutete sie. „Jedes Lichtpünktchen ein Hoffnungsfünkchen!“
Sie trocknete die Tränen, dann beugte sie sich aus dem Fenster und rief dem Himmel zu: „Dankeschön! Es gibt sie noch, die Hoffnung! Wie gut das ist! Ja, alles wird gut!“

© Elke Bräunling


Alles Gute zum neuen Jahr, Bildquelle © grunzibaer/pixabay

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