Sind die Gedanken frei?

Geschichte für Groß und Klein – Vom Denken und Fühlen und vom Zeigen der Gefühle

„Die Gedanken sind frei,  wer kann sie erraten, sie fliehen vorbei wie nächtliche Schatten. Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen. Es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei. …. Lalala lalaa, lalala lalala ….“
Oma Martha trällert ihr Lieblingslied und Anton trällert mit. Es gefällt ihm, dieses Lied, das schon über zweihundert Jahre alt ist. Nur die Worte begreift er nicht so ganz. Freie Gedanken! Was bedeutet das? Jeder kann doch denken, was er will!
Oder doch nicht?
Es ist das erste Mal, dass er darüber nachdenkt. Komisch, ausgerechnet heute hat Frau Starke in der Schule „Pass auf, was du denkst, Anton!“ gesagt. Und sie hat erklärt, dass man Gedanken im Gesicht ablesen kann und es sei nicht immer nett, was man da so alles liest.
Das hat Anton erschreckt. Das kann doch nicht stimmen, oder?
„Ich denke, was ich will …“, singt Oma Martha weiter.
Klar, denkt Anton, das tue ich auch und es kann mir keiner verbieten.
Er mustert Omas Gesicht genauer. Ob er ablesen kann, was sie gerade denkt?
Hm! Das ist gar nicht einfach. Die Fältchen um ihre Augen bilden einen fröhlichen Kranz, das sieht lustig aus. Bestimmt denkt sie an etwas Schönes.
„Ist es etwas Besonderes, wenn man an nette Dinge denkt? Und ist dieses ‚Frei-sein‘ auch so etwas?“
„So was?“, fragt Oma.
„Na, so etwas Nettes und ganz besonders Schönes.“
„Das kann wohl sein. Schöne Gedanken fühlen sich großartig an, traurige bringen uns zum Weinen, sie können sogar krank machen.“
Das Strahlen will sich aus Omas Augen verabschieden. Ein paar Tränen glitzern.
„Ich will dich nicht traurig machen!“, sagt Anton schnell.
Oma schüttelt den Kopf.
„Das ist in Ordnung, mein Schatz!“, tröstet sie. „Es ist gut, wenn man seine Gefühle zulässt und sie auch lebt. Das bedeutet Freiheit nämlich auch. Und weißt du, diese Freiheit genehmigen wir uns oft selbst nicht und das ist sehr schade.“
„Ja, schade“, meint Anton. „Man schämt sich dann, nicht wahr? Und das ist auch nicht frei.“
„Nein, das ist es nicht. Und ungesund ist es zudem.“ Oma nickt. „Schäme dich nie deiner Gefühle, kleiner Anton! Sei frei in allem, was du denkst und fühlst und auch in dem, was du tust, wenn es redlich ist.“
„Redlich?“, fragt Anton, der dieses Wort noch nie gehört hat.
„Ja, das bedeutet ehrlich, anständig. Also täusche keine Gefühle vor, die du nicht hast! Das ist nicht ehrlich.“
„Ehrlichkeit macht auch frei, stimmt`s?“
„Sehr sogar. Lügen lasten schwer auf der Seele und eine schwere Seele ist nicht …“
„Frei!“ Anton nimmt Oma das Wort aus dem Mund. Er genießt es, mit ihr wichtige Dinge zu bereden und das mit der Freiheit ist wirklich ein sehr ernstes Thema.
Oma lacht. „Ich sehe, du weißt gut, worüber wir sprechen. Das gefällt mir. Und nun bin ich so frei und lade dich zu einem Eis ein. Einverstanden?“
„Einverstanden“, sagt Anton. „Ich bin so frei und sage, dass ich das riesenmäßig toll finde.“
Dann summt er nochmal die Melodie „Die Gedanken sind frei,  wer kann sie erraten , lala la …“ und Oma singt mit.

© Elke Bräunling

Einen Song/ein Lied, das zur Geschichte passt, findest du hier im Blog: Frei, frei, frei

Frei zu denken und zu träumen, Bildquelle © lilologi/pixabay

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