Das Veilchen und die Freude

Blumenmärchen für Groß und Klein – Ein Stickbild, ein blaues Blümchen und ein Gedicht für das Veilchen

„Ich will auch eine Freude sein!“, sagte das Veilchen im Blumenladen. „Eine klitzekleine nur.“
„Wer wünscht sich schon dich als klitzekleine Freude?“, fragten die anderen Blumen, die Rosen, Nelken, Lilien, Freesien, Anemonen und Ranunkeln.
Und die Narzissen ergänzten: „Wer den Menschen in dieser Zeit eine Freude zu bereiten weiß, sind wir, die Frühlingsblumen. Boten des Frühlings werden wir genannt und wir sind die begehrtesten Blumen in diesen Tagen.“
„Und die farbenprächtigsten“, ergänzten die roten und weißen und gelben, blauen, rosafarbenen und bunt marmorierten Tulpen. Wir sind die größten Freuden im Frühling.“
„Zu besonderen Anlässen und zu Festen kauft man uns Rosen“, riefen da die Rosen. „Wir sind das Symbol der Liebe. Und wir sind die begehrtesten Blumen auf der Welt.“
Die anderen Blumen staunten und schwiegen.
„Ich bin kein Symbol der Liebe“, sagte das Veilchen. „Ich bin auch nicht strahlend oder prächtig oder berühmt. Aber ich kann meine Liebe zeigen. Mit meinem Duft.“
„Man sieht dich ja kaum. Sag, wer schert sich schon um ein kleines Veilchen?“, fragte eine Nelke und die anderen Blumen lachten.
Da schwieg das Veilchen wieder. Es machte sich noch ein wenig kleiner. Vielleicht hatten die Blumenkollegen recht. Vielleicht war es zu klein, um einem Menschen Freude zu bringen?
Am Nachmittag betrat ein Mädchen den Blumenladen.
„Diese Blumen will ich haben“, sagte es. „Für meine Uroma.“
Es zeigte der Blumenverkäuferin ein Stickbild mit blauen Blümchen und einer tiefroten alten Schrift.
„Das ist aber ein schönes kleines Kunstwerk“, sagte die Blumenfrau.
„Kannst du diese alte Schrift lesen?“ Voller Erwartung sah das Mädchen die Blumenverkäuferin an.
„Ein bisschen“, antwortete diese. „Es ist Sütterlin. Meine Eltern und Großeltern haben einander in dieser Schrift Briefe geschrieben. Warte! Ich lese dir das Gedicht auf deinem kleinen Bild vor. Der Dichter Rainer Maria Rilke hat es geschrieben.“
Und dann las sie langsam das schöne Gedicht vom Blümchen, das den Menschen Freude bringt, vor:
„Still für sich / und doch für mich / blüht das kleine Veilchen. / Bringt mir Freud / im Wintersleid / für ein ganzes Weilchen.“ *
„Schön!“, sagte das Mädchen. „Oh, wie schön!“ Es lächelte die Blumenverkäuferin an. „Diese Blume möchte ich haben. Einen Strauß davon. Für Oma.“
Da lächelte auch das Veilchen. Leise. Verschämt.
Ein bisschen war es größer geworden. Jedenfalls dachte es dies.
Die anderen Blumen schwiegen, und das war auch gut so.

© Elke Bräunling

* Gedicht von Rainer Maria Rilke, Still für sich und doch für mich

Veilchenherz, Bildquelle © congerdesign/pixabay

 

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