Ein stürmischer Kneipenabend

Geschichte für Senioren zum Vorlesen – “Wetterpropheten” am abendlichen Stammtisch

„Der Sturm treibt den Winter ins Land, wirst du sehen“, sagte der alte Bauer Janssen und nickte dabei bekräftigend mit dem Kopf. „Das wird ja auch mal Zeit, nicht?“
Sein Gegenüber am Stammtisch im Dorfkrug, der Altbürgermeister Hausbauer, nickte. „Wenn du das sagst, wird das ja nun mal auch so sein. Der Wetterfrosch im Radio hat das aber nicht vorhergesagt. Wenn es nach dem geht, ist es noch keine Zeit für einen steifen Grog. Aber nicht für uns.“ Er hob sein Glas. „Willste auch noch einen?“
Janssen schüttelte entschieden den Kopf. „Nee, lass mal. Ich habe genug von dem starken Zeugs!“ Er drehte sein Glas um und stellte es mit der Öffnung nach unten auf seinen Bierdeckel. ‚Ich bin fertig für heute!‘, sollte das heißen.
„Biste krank?“ Der Hausbauer sah auf.
Der alte Jansen schüttelte den Kopf. „Nee. Ich werd’ nicht krank. Aber da ist diese Unruhe, weißte, diese seltsam rumorende Unruhe wie damals, als bei der Klinglers Alice das Dach auf die Straße stürzte.“ Er nickte bekräftigend. „Jawohl. So eine Unruhe ist das.“
Bestürzt schauten alle Gäste in der Kneipe auf Bauer Janssen. Er war dafür bekannt, dass er immer ein wenig besser als die Wetterfrösche im Fernseher wusste, was das Wetter bringen würde.
„Meinste, dass wieder ein schlimmer Sturm kommt, Janssen?“, fragte Margret, die Wirtin. „Wie merkst du das überhaupt, ist mir schleierhaft!“
Der Alte zuckte mit der Schulter. „Das spürt man eben. Isso. Und ich sag euch, das wird noch eine unruhige Nacht geben. Räumt eure Blumenpötte weg und macht die Fenster gut zu. Und du!“, er sah Alfons, den Wirt, mit durchdringendem Blick an. „Du pass besonders auf!“
„Ich? Wieso ich?“, fragte Alfons erschrocken. „Siehste etwa noch mehr? Sag schon, Janssen!“
Der alte Janssen nickte. Ein bisschen grinste er auch, doch das sah man nur an seinen Augen und auch nur, wenn man ihn genau kannte.
„Viel mehr seh ich, viel mehr. Aber du weißt ja, wie das so ist: Man muss vorsichtig sein. Ich auch. Ich sag nix mehr.“
Der Alfons schüttelte verärgert den Kopf. „Nee, nee, erst die Pferde scheu machen und dann nicht mit der Sprache rausrücken. Du bist und bleibst ein oller Blödmann, Janssen! So!“
„Nix bleibt ungestraft“, murmelte der alte Janssen und auch der Altbürgermeister nickte.
„Ich glaube, ich weiß, was du meinst.“ Er nickte wieder. „Und recht hast du.“
Dem Alfons rannen Schweißtropfen an die Stirn. Wer hatte auch schon immer ein reines Gewissen?
„W-w-wollt ihr noch ‚nen Schnaps?“, fragte er.
„Na ja“, sagte Bauer Janssen und drehte sein Glas wieder um. „Wenn du einen ausgibst!“
„Jau, tu mal noch einen rein!“, meinte auch der Altbürgermeister. „Und trink vorsichtshalber auch selbst einen mit, man weiß ja nie!“
Und während der arme Alfons nun eine Runde und noch eine und noch eine ausgab, sah er längst nicht mehr, wie sie einander zuzwinkerten, die beiden alten Füchse. Aber die Sturmböe, die plötzlich wie aus dem Nichts über den Dorfkrug hinweg fegte, die hörte er wohl.

© Elke Bräunling & Regina Meier zu Verl


 

 

 

 

 

 

 

Bildquelle © Connie_sf/pixabay

Geschichte für Senioren zum Vorlesen, bei Veranstaltungen u. geselligem Beisammensein, im Seniorenheim und/oder Zuhause

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