Das warme Licht im Fenster

Vorlesegeschichte mit einfacher Struktur für an Demenz erkrankte Menschen – Adventslicht und Adventsfreude auch für die Nachbarn

Es war ein stiller Abend im späten November. Wie ein grauer Schleier lag Nebel über der Straße. Oma Bauer saß an ihrem Fenster und schaute hinaus.
Überall ringsum leuchteten Lichter in den Fenstern. Manche Fenster waren weihnachtlich geschmückt. In anderen sah sie ein paar Kerzen.
Auch ihr eigenes Fenster zeigte schon die kommende Weihnachtszeit. Ein großer Strohstern hing da, und die Kerzenpyramide drehte sich still im Schein der Kerzen.
Oma Bauer liebte dieses warme Licht.
Manche Fenster in der Straße aber blieben dunkel. Eines davon war das Fenster vom alten Jakob.
„Immer sitzt er allein vor seinem Fernseher!“, murmelte sie. „Das macht doch niemanden froh! Und dumm wird man davon auch.“
Jakob war ein stiller Nachbar. Früher hatte er oft gelacht. Doch seit dem Tod seiner Frau hatte er sich verändert. Kein Lächeln mehr, keine Lichter. Nur der Fernseher flimmerte.
Oma Bauer blickte auf ihr krankes Bein und seufzte. „Wenn ich doch nur helfen könnte! Ein Weihnachtsgeist müsste kommen. Oder ein kleines Wunder.“
Sie schloss das Fenster und kochte sich einen Kakao. Wenig später schlief sie über ihrem Buch ein.
Sie sah nicht mehr, wie das Licht in ihrer Kerzenpyramide plötzlich heftig flackerte. Sie sah auch nicht den kleinen Lichtschein, der davon huschte. Bis zum Fenster des alten Jakob wanderte er. Dort setzte er sich auf das Fensterbrett.
Jakob saß im Dunkeln und starrte auf den Fernseher.
Da, plötzlich, sah er das kleine Licht. Es schimmerte warm. So warm und sanft wie die Lichter am Weihnachtsbaum, die er als Kind so sehr geliebt hatte.
Langsam stand er auf und ging zum Fenster. Das Licht flackerte leicht.
„Hast du mich vergessen?“, flüsterte es. „Ich bin das Licht, das Freude bringt!“
Jakob erschrak. War das ein Traum?
Voller Schreck schloss er das Fenster. Dann aber zog er die Schublade am Tisch auf und kramte lange darin. Endlich fand er eine kleine, gebrauchte Kerze. Ganz verstaubt war sie und steckte in einem Kerzenhalter aus Holz.
Er erinnerte sich: Es war der kleine Rest einer Kerze, die seine Frau gekauft und aufs Fensterbrett gestellt hatte.
Er seufzte tief, dann zündete er die Kerze an. Das Licht flackerte und leuchtete. Sein Zimmer war nicht mehr ganz so dunkel. Es fühlte sich ein bisschen wie früher an.
Später erwachte Oma Bauer aus ihrem Schläfchen. Sie erhob sich aus ihrem Sessel und trat ans Fenster. Und da sah sie es: Bei Jakob leuchtete eine kleine Kerze.
„Oh, wie schön!“, sagte sie und lächelte. „Vielleicht gibt es die Weihnachtswunder ja doch?“
Von da an war Jakobs Fenster Abend für Abend ein bisschen heller. Es sah auch festlicher aus, und Oma Bauer freute sich jedes Mal, wenn sie auf die stille Straße blickte.

© Elke Bräunling


Das warme Licht, Bildquelle © Albertfotofilms/pixabay

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