Alte Liebe und ein Baum im Herbst

Alte Liebe und ein Baum im Herbst

Herbstgeschichte mit Erinnerungen

Titel + Illustration: alte Dame blickt aus Fenster, Mann kehrt im Garten HerbstlaubEndlich verliert der Ahorn im Nachbargarten wieder sein Laub.

„Wenn Blätter fallen, wachsen Erinnerungen. Und manchmal flüstert ein alter Baum von einer Liebe, die nie ganz vergeht.“

Eine alte Dame, ein Ahornbaum und ein stilles Lächeln voller Erinnerungen:
Diese sanfte Seniorengeschichte erzählt von Nachbarschaft, längst vergangener Zuneigung und der Hoffnung, dass ein Gruß von früher vielleicht doch noch einmal zurückkehrt.
Mit einfacher Kurzfassung und einfühlsamer Fragerunde für Menschen mit Demenz.

 

 

 

Alte Liebe und ein Baum im Herbst

Die einzige, die sich darüber freute, dass der Herbst immer näher auf den Winter zuschritt, war Uroma Lina. Jedem Blatt, das vom Ahorn im Nachbargarten herunter schwebte, jubelte sie hinterher.
Seltsam war das. Wo sie doch sonst das Grün und das Bunt in der Natur über alles liebte! Wir verstanden sie nicht. Wie konnte man sich über fallende Blätter und kahle Bäume freuen?
„Es ist ja nur dieser Baum“, verteidigte sie sich. „Der darf alle Blätter verlieren. Je schneller, desto besser.“
„Warum?“, fragte Papa. „Magst du den Ahorn nicht?“
„Wie kommst du auf diese Idee?“ Empört fast sah Uroma Lina Papa an. „Diesen Baum hat Friedel für mich gepflanzt. Eigens für mich. Hörst du?“
Friedel? Wer war Friedel? Wir wunderten uns noch mehr.
„Wer ist Friedel?“, fragte Papa da auch schon.
„Ein schöner Mann.“ Uroma Linas Blick wurde weich. Richtig verliebt sah sie auf einmal aus.
„Und warum hat dieser Friedel für dich einen Baum gepflanzt?“, fragte ich und musste kichern. „Der muss ja ganz schön doof gewesen sein.“
„Was fällt dir ein?“ Nun bedachte Uroma Lina auch mich mit einem ungnädigen Blick.
„Na ja“, verteidigte ich mich. „Der hatte deinen Baum aus Versehen auf dem Nachbargrundstück gepflanzt. Ganz schön verrückt, oder?“
„Gar nicht verrückt“, knurrte Uroma Lina. „Damals hatte es den hässlichen Zaun doch noch nicht gegeben! Das Grundstück mit den Gärten wurde von beiden Familien genutzt und das war sehr sehr schön. Und praktisch war es auch. Das hatten unsere Großeltern, also deine Urururgroßeltern, mit den Nachbarn vereinbart und das war gut so.“
Ich staunte. Urururgroßeltern? Das war ja schon mächtig lange her.
„Jaja“, fuhr die Uroma fort. „Bis dann dieser dumme Streit alles zerstörte. Seither hatte es einen Zaun gegeben.“
„Und dein Baum stand auf der falschen Seite“, ergänzte Papa. „Was für eine traurige Geschichte.“
„Und warum habt ihr gestritten?“, hakte ich nach.
Die Uroma sah uns mit traurigen Augen an. „Das müsst ihr den Friedel fragen.“
„Gerne“, sagte Papa. „Aber wer ist nun der Friedel?“
„Der Friedrich. Wer sonst?“ Uroma Lina deutete auf den alten Nachbarn hinüber, der drüben auf der Terrasse Laub fegte und brummig wie immer dreinblickte.
„Was?“, rief Papa. „Der alte Knotterfritz ist dein Friedel?“
Auch ich musste gegen das Lachen ankämpfen. Den Knotterfritznachbarn konnte ich mir so gar nicht als jungen Mann vorstellen, der noch dazu unserer Uroma Lina einen Baum gepflanzt hatte. Vielleicht, weil er in sie verliebt gewesen war?
Auch die Uroma musste grinsen.
„Wo denkt ihr hin?“, fragte sie. „Der Friedrich war nicht immer ein Meckerkopf. Wenn ich ihn sehe – oder schimpfen höre – denke ich an den alten Friedel von früher zurück. Der, der mir einen Ahorn pflanzte. Und dann freue ich mich.“ Sie machte eine Pause, grinste noch mehr, und fuhr fort: „Und weil ich oft und ganz besonders im Winter an die früheren Zeiten denke, linse ich gerne durch die kahle Baumkrone zu Friedrich hinüber. Vielleicht, ja, vielleicht winkt er mir ja doch eines Tages wieder zu?“
Da sagten wir nichts mehr, nur insgeheim begann ich alle Daumen zu drücken und zu hoffen, dass es dem Friedrich, der mal Friedel hieß und der heute ein alter Meckerkerl war, doch einmal einfiel, über den Gartenzaun hinauf zu Oma Linas Fenster zu gucken und ihr vielleicht zuzuwinken. Oder wenigstens ein kleines bisschen zu lächeln.

© Elke Bräunling

Illustration: alte Dame blickt aus Fenster, Mann kehrt im Garten Herbstlaub

 

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🌸 Alte Liebe und der Ahornbaum

Ruhige Version in einfacher Sprache

Uroma Lina saß am Fenster.
Sie schaute in den Nachbargarten.
Dort stand ein großer Ahornbaum.
Die Blätter fielen bunt und langsam zu Boden.
Und jedes Mal lächelte Uroma Lina.
Alle wunderten sich.
Warum freute sie sich so über fallende Blätter?
Uroma Lina sagte leise:
„Diesen Baum hat Friedel für mich gepflanzt. Vor vielen Jahren.“
Friedel war ein junger Mann gewesen, den sie sehr mochte.
Damals gab es keinen Zaun zwischen den Gärten.
Beide Familien nutzten den Garten gemeinsam.
Es war eine schöne Zeit.
Dann gab es Streit.
Ein Zaun wurde gebaut.
Und der Baum stand plötzlich auf der anderen Seite.
Heute wohnte dort Friedrich, ein älterer Nachbar.
Er wirkte immer sehr grimmig.
Doch für Uroma Lina war er noch immer „ihr Friedel“.
Ihr alter Freund, den sie so geliebt hatte.
Wenn die Zweige des Ahornbaumes im Winter kahl waren,
konnte sie zu ihm hinübersehen.
„Vielleicht winkt er mir eines Tages wieder“,
sagte sie und lächelte zart.
Und alle hofften still mit ihr.

 

🌿 Fragerunde für Seniorengruppen

(klar, einfach, langsam vorlesbar)

1. Hatten Sie früher einen Lieblingsbaum?
Welcher war es?
2. Stand in Ihrem Garten oder Dorf ein besonderer Baum?
Vielleicht eine Linde, Kastanie, ein Apfelbaum?
3. Gab es früher Nachbarn, die Ihnen wichtig waren?
Freunde, mit denen man am Zaun plauderte?
4. Haben Sie später jemanden wiedergesehen,
den Sie von früher kannten?
5. Was macht Ihnen heute Freude, wenn Sie aus dem Fenster schauen?
6. Haben Sie früher gerne aus dem Fenster geschaut?
Was haben Sie gesehen?
7. Können Sie sich an einen Garten aus Ihrer Kindheit erinnern?
Was wuchs dort? Blumen? Kräuter? Obst?
8. Welche Jahreszeit mochten Sie früher besonders gern?
Und warum?
9. Haben Sie früher beim Laubfegen geholfen?
Oder Blätter gesammelt?
10. Kennen Sie den Geruch von nassem Herbstlaub?
Was fällt Ihnen dazu ein?
11. Gab es in Ihrer Nachbarschaft jemanden, mit dem Sie gerne geredet haben?
12. Haben Sie als Kind Blätter gepresst oder aufbewahrt?
Zwischen Buchseiten? Auf einem Fensterbrett?
13. Erinnern Sie sich an ein altes Haus mit Garten, wo Sie sich wohlgefühlt haben?
14. Gab es früher in Ihrem Leben Bäume, unter denen man saß — zum Ruhen, Lesen oder Träumen?
15. Haben Sie jemanden gekannt, der manchmal streng aussah — aber eigentlich ein gutes Herz hatte?
16. Glauben Sie, dass manche Menschen sich im Herzen ein Leben lang mögen können?
17. Was bedeutet für Sie „alte Freundschaft“?
18. Was tut Ihrer Seele gut an einem Herbsttag?
Tee? Ein warmes Licht? Ein ruhiger Blick ins Freie?
19. Erinnern Sie sich an das Gefühl, wenn der erste Frost kam?
20. Gibt es heute jemanden, dem Sie gerne einmal zuwinken würden?

🍃 Kleiner Abschluss-Satz zum Lächeln
Manchmal braucht es nur ein Blatt im Wind,
damit ein Herz sich erinnert.

🍁 Mini-Impuls zum Abschluss
„Wenn Sie möchten, können Sie ein Blatt wählen
und jemandem in Gedanken widmen,
den Sie gern hatten.“
Kleiner Korb mit 3–4 Blättern genügt.
Ruhig. Zärtlich. Würdevoll.

 

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