Ein Kuchen für dich

Geschichte für Senioren zum Vorlesen – Zwölf Uhr mittags, und bitte keine Romantik

In ihren Träumen hatte dieser Tag in verliebt bunten Farben geleuchtet. Zuerst hatte sie sich dagegen gewehrt. Lächerlich, diese Idee, die in ihren Gedanken immer mehr Gestalt angenommen und sich zu einem abenteuerlichen Plan ausgebildet hatte. Sie würde doch nicht zu einer jener albernen Frauen mutieren, die sich mit einem selbstgebastelten Romantikidyll zum Affen machten?
Und doch war es geschehen und sie stand mit Reisetasche, Rucksack, Laptop und einem Kuchen, ja, einem Kuchen!, neben dem Gleis jener Haltestation, die den Namen Bahnhof nicht verdiente. Das einzige Gleis, das sich durch die
Einsamkeit schlängelte, verlor sich hinter fahlem Birkengesträuch im Nichts des Nordlandes. Verloren fühlte auch sie sich.
Welcher Teufel hatte sie geritten, diese Reise anzutreten? Noch dazu mit einem Schokoladenussrüblikuchen, den er über alles liebte (und den sie hasste). Und wieso war es um Dreiteufelsnamen so drückend heiß hier im hohen Norden?
Sie wischte sich über die Stirn. Brachte sie dieser öde Ort doch tatsächlich zum Schwitzen! Oder war es die Aufregung?
Zugegeben: Nervös war sie schon. Sehr sogar. Was würde er über ihr Auftauchen sagen? Wäre ihre Überraschung das, was sie sein sollte?
„Ein Fehler“, sagte sie laut in die ländliche Bahnhofsstille hinein. „Ich sollte nicht hier sein.“
Sie blickte auf die Uhr ihres iPhones. Gleich zwölf Uhr. 12 Uhr mittags. Und keine Chance, einen Rückzieher zu machen.
Sie seufzte und spähte dorthin, woher er kommen musste. Nach Süden auf den Weg neben dem Gleis. Sein Weg. Ihn wollte er nehmen heute zur Mittagszeit. So stand es in seinem Plan, den er ihr seit Monaten wieder und wieder vorgekaut hatte und den sie fast auswendig kannte. Es war der Plan des großen Abenteuers seines Lebens, das sie eigentlich nicht mit ihm teilen wollte.
Und nun stand sie doch da, mitten auf dem Weg, der zum nördlichsten Punkt des Kontinents führte.
Was, wenn er diesen Plan nach dem letzten Telefonat doch noch geändert hatte? Vielleicht hatte er eine andere Route gewählt oder er zog seiner Zeit hinterher?
Nein, nicht er.
Sie starrte über die Weite des Heidelandes. Die Luft flirrte, Mücken schwirrten in wirren Wolken um die krautigen Gewächse dieser Gegend. Ein Krähenschwarm stob mit pfeifendem Gelächter über sie hinweg, schraubte sich himmelwärts. In der Ferne tanzte ein dunkler Punkt auf dem Weg. Er tanzte auf sie zu, wurde groß und größer, bewegte sich schneller.
Sie hielt den Atem an. Ob er …?
Dann stand er vor ihr, den Lenker seines Fahrrads umklammernd, das Gesicht von der Sonne verbrannt, der Blick starr. Ein Mückenstich zierte seine Nase.
„Ich … Ich habe dir einen Kuchen gebracht.“ Sie konnte nur stammeln.
Er schwieg, doch die Fältchen um seine Augenwinkel tanzten mit Reisestaubkörnchen und Schweißperlen einen leisen Tanz.
„Du hast … was?“, fragte er endlich.
Er trat einen Schritt auf sie zu und …
Und die Geigen am Himmel, die gerade zu einem hell klingenden Dur-Gesang einsetzen wollten, hielten inne. Ihr Einsatz wäre nun doch zu viel der Romantik gewesen. Das hätten sie, diese beiden Menschen, die sich dort unten in die Arme fielen, vielleicht dann doch nicht ertragen.

© Elke Bräunling

Schwedenmeerbrücke Jürgen RinckDieser liebe Freund und Künstler Jürgen, der sich im Netz “Irgendlink” nennt, ist gerade auch auf Tour nach Norden. Zum Nordkap will er radeln, und dieses Foto zeigt ihn auf seinem weiten Weg irgendwo in Südschweden. Um genau zu sein in der Nähe  der Brücke von Malmö.
Begleitet ihn in den nächsten 90 Tagen in seinem Blog unter diesem Link oder bei Twitter, wo schon heute ganz schön viel los ist und wo er schon ganz schön viel zu berichten hat. Witziges, Fröhliches, Landschaftliches, Skurioses und Ernsthaftes. Schaut vorbei bei Twitter, es lohnt sich!

Schwedische Weite von Juergen Rinck
Irgendlink alias KapMan in Südschweden, © aller Fotos Jürgen Rinck

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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