Das Schöne am Winter

Wintergeschichte für Wintermuffel – Es ist das Genießen im Winter, das versöhnt. Das Wintergefühl

Es war einer der letzten schönen Tage in diesem milden Winter. Jedenfalls fühlte sich dieser Tag so an. Von überall her aber meldeten sich die ersten Boten der Kälte. Der Wind würde sich drehen und dann von Norden herab wehen und Regen, vielleicht sogar den ersten Schnee mitbringen. Ein bisschen roch es schon danach.
Else, die von allen im Städtchen nur Wetterelse genannt wurde, schnupperte.
„Schnee“, murmelte sie. „Es riecht eindeutig nach Schnee und das ist gut so. Der Winter hat uns mit viel Sonne und warmer Südwestluft sehr verwöhnt. Der Wechsel wird hart werden.“
„Bist du dir sicher?“, fragte die alte Inga, ihre Nachbarin. „Der Wettermann im Radio hat nichts dergleichen berichtet. Die Luft soll mild bleiben, hat er gesagt.“
„Was diese Wetterleute aber auch immer sagen“, knurrte Else. „Dieser Frühlingswinter passt nicht in die Zeit und es wird auch so nicht bleiben. Schnee wird bis zum Wochenende liegen. Das kannst du mir glauben.“
„Ach, schade!“ Inga, die Elses Wetterwissen mehr vertraute als den Voraussagen der Meteorologen, seufzte. „Ich habe mich an die milde Luft gewöhnt. Im Garten sprießen die ersten Triebe, ein paar Schneeglöckchen, Gänseblümchen und Haseln blühen und die Bienen sind auch unterwegs. Selbst meinen Winterspinat und die Rapunzeln kann ich bald ernten. Ist das nicht wundervoll? Ach, ich liebe dieses warme, heitere Wetter. Es darf gerne immer so frühlingshaft freundlich sein. Der Winter kann mir gestohlen bleiben.“ Sie stampfte mit dem Fuß auf wie ein störrisches Kind.
Else grinste. Dieses Gespräch führten sie jedes Jahr im Winter. Ihre Nachbarin war alles andere als ein Wintermensch. Else konnte sie verstehen. Das Ruhen der Natur, jene Phase des vermeintlichen Stillstandes, war auch ihre Lieblingszeit nicht. Sie erzeugte ein Gefühl der Passivität, das nur schwer zu ertragen war, und die Kälte war auch nicht ihre Freundin. Aber was sollte man tun? Klagen brachten auch nicht weiter. Man musste sich arrangieren. Auch die Winterzeit hatte ihre schönen Seiten.
„Auch der Winter hat seine schönen Seiten“, sagte sie daher wie alle Jahre wieder zu Inga. „Denke doch bloß an die blitzklaren Frosttage mit ihrer klaren Luft, den zauberzarten Eiskunstwerken und dem knirschenden Schnee unter den Füßen! Haben sie nicht etwas besonders Beruhigendes, Entspannendes? Ich liebe dieses Wintergefühl, wenn man aus der klirrend kalten Luft ins warme Haus zurückkehrt und die Holzscheite im Ofen knistern, während auf dem Herd ein würziger Erbseneintopf köchelt. Später dann ein Apfelkuchen mit einer Prise Zimt mehr, dazu heiße Schmandsoße und ein Becher starken Kaffee mit Kardamon und vielleicht ein Kirschwässerchen mit viel Ruhe und Muße zum Kräftetanken. Hmm. Das gönnt uns nur der Winter so freigiebig, dass es uns kein schlechtes Gewissen macht, weil wir uns als Müßiggänger fühlen. Und dann…“
„Ist gut. Ist ja gut“, unterbrach Inga sie. „Genug geschwärmt. Lasst uns Taten sehen!“
Sie wandte sich um, betrat Elses Vorgarten und steuerte auf die Haustür zu. „Das proben wir doch gleich mal, und zwar genau in der von dir genannten Reihenfolge.“
„Proben? Ich verstehe nicht. Was meinst du?“ Else verschlug es schier die Sprache, was nicht oft passierte.
Inga grinste. „Na, das Wintergefühl. Mit deinem Eintopf, der Apfelquiche mit Zimt und Schmandsoße, dazu Kaffee und danach ein Kirschwässerchen. Es können auch zwei oder drei sein. Nur auf die knisternden Holzscheite können wir verzichten. Noch scheint sie ja, die milde Sonne, und zwar genau auf deine Terrasse mit der Eckbank im geschützten Winkel. Also, was zögerst du?“

© Elke Bräunling

 



Bildquelle © JillWellington/pixabay

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